Überwachungskameras:Ein Staat mit tausend Augen

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Die Ausweitung der Video-Überwachung folgt einer neuen Sicherheitslogik: Jeder ist verdächtig.

Von Heribert Prantl

(SZ vom 2.1.2004) — Die Videokameras, die alsbald an den deutschen Straßen installiert werden sollen, sehen alles. Sie sehen aber nicht die Heuchelei von Innenministern, die diese Kameras aufstellen lassen. Die Innenminister behaupten nämlich, es sei nur daran gedacht, gesuchte Verbrecher und gestohlene Autos aus dem Verkehr zu ziehen.

Dagegen könnte in der Tat niemand etwas haben. Aber diese Behauptungen stimmen nicht. Sie sind nur der Köder, mit der nach der allgemeinen Zustimmung zu dieser Generalüberwachung geangelt wird.

In Wahrheit wird es so sein: Die Millionen von Autokennzeichen unbescholtener Bürger, die von den Kameras an Kreuzungen, in Tunnels und an Autobahnen festgehalten werden, werden mitnichten sofort gelöscht. Und es wird auch nicht so sein, dass die Kontrolle per Video nur der Fahndung nach Straftätern dient, gegen die ein Haftbefehl vorliegt.

Es wird vielmehr auch nach Leuten gefahndet werden, die bloß eine Ordnungswidrigkeit begangen und ihren Bußgeldbescheid noch nicht bezahlt haben. Und es werden auch die Bewegungsdaten von Leuten registriert werden, die noch gar nichts getan haben, von denen die Behörden aber glauben, dass es gut ist, wenn man sie schon einmal ins Visier nimmt. Es handelt sich also um eine verschleierte Dauer-Razzia auf Deutschlands Straßen zur Sammlung potentiell nützlicher Daten. Die Innenminister leugnen solche Pläne.

Aber diese Pläne kann man nachlesen, etwa im Gesetzentwurf der SPD/FDP-Landesregierung von Rheinland-Pfalz zu einem neuen Polizeigesetz. Er stammt vom 24. Juni 2003, also aus einer Zeit, in der das Video-Thema noch nicht öffentlich diskutiert wurde - und ist vielleicht deshalb von einer mittlerweile nicht mehr erwünschten Ehrlichkeit.

Da heißt es also in Paragraf 27 Absatz 7, dass die Unterlagen "unverzüglich, spätestens nach zwei Monaten zu löschen oder zu vernichten" sind, "soweit sie nicht zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung, zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten, oder zur Behebung einer bestehenden Beweisnot erforderlich sind".

Wer mit den Formeln des Sicherheitsrechts vertraut ist, der weiß, dass die Sicherheitsbehörden auf dieser Basis fast alles speichern können, was sie nur wollen. Man wird also die Bewegungsdaten von allen Leuten registrieren können, die den Sicherheitsbehörden aus irgendwelchen Gründen suspekt erscheinen (ohne dass man ihnen schon konkret etwas vorwerfen kann).

Misstrauensaktionen im Großmaßstab

Vor 30 Jahren wurden die Kennzeichen von Autos, die vor Versammlungslokalen von Kernkraftgegnern parkten, polizeilich registriert. Solche Misstrauensaktionen werden künftig im Großmaßstab möglich sein. Wie die verfassungswidrige Jedermann-Kontrolle gerechtfertigt werden wird, ist jetzt schon vorhersagbar: Die Innenminister werden darauf verweisen, dass man nur so Erkenntnisse über islamistische Fundamentalisten gewinnen könne.

Je unbestimmter die Gefahr, desto bedrohlicher kann sie geschildert werden - und umso schneller die bisherigen Rechtsgarantien aufgehoben. Die geplanten umfassenden Video-Dauer-Kontrollen fügen sich ein in die seit Jahren zu beobachtende Umwandlung des Sicherheitsrechts: Staatliche Eingriffe und Zugriffe auf den Bürger werden losgelöst von einem konkreten Tatverdacht.

Zur Gefahrenvorbeugung wird erlaubt, was nicht einmal zu Zwecken der Strafverfolgung möglich ist. Wenn also ein Verdacht nicht vorhanden ist, dann lässt man eben einen Vorverdacht genügen. Die gleichen Polizeigesetze, die die präventive Videokontrolle auf den Straßen einführen, wollen auch das präventive Abhören in den Wohnungen erlauben: Nicht erst dann, wenn es einen konkreten Verdacht gibt, sondern auch schon vorher sollen Telefone abgehört werden dürfen. Das heißt: Jeder ist erst einmal verdächtig - bis sich bei den diversen Kontrollen herausstellt, dass er doch nicht verdächtig ist.

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