Typografie:Breiter, dicker, aufwendiger

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Das neue große "ß" beschäftigt Minister, Verlage und Designer.

Von Marvin Strathmann

Das "ß" ist ein unglücklicher Buchstabe. Eigentlich ist es ein vollwertiges Mitglied im deutschen Alphabet. Aber da es bisher nur die kleine Version von ihm gab, wird es behandelt wie das Kind, mit dem keiner spielen möchte. Auf deutschen Computer-Tastaturen führt das "ß" ein trostloses Dasein, oben in der Ziffernreihe, wo Dollar- und Paragrafenzeichen endlich mal gedrückt werden möchten.

Ende Juni wurde der selten verwendete Buchstabe jetzt aufgewertet. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat das große "ß" eingeführt, bisher war es kein offizieller Teil der Rechtschreibung. Wird es richtig angezeigt, sieht es meist aus wie eine Mischung aus ß und B. Endlich müssen Menschen mit einem "ß" im Namen nicht mehr auf "SS" ausweichen, wenn nur Versalien erlaubt sind. Aber so eine Umstellung bringt Probleme und Arbeit mit sich. Kultusminister müssen konferieren, damit Schüler den neuen Buchstaben lernen. Es gibt 40 000 verschiedene Schulbücher in Deutschland, die Verlage müssen entscheiden, ob sie das große "ß "übernehmen. Autoren von Wörterbüchern müssen die deutsche Sprache neu erklären, und in Amtsstuben brüten Beamte darüber, ob Frau Großmann in Versalien nun mit großem "ß" oder wie gehabt mit "SS" geschrieben werden kann.

Freude bereitet der neue Buchstabe indes der Druckerei-Industrie. Und auch Designer, die Entwürfe für Schriftarten, Logos und Markennamen kreieren, bekommen nun Arbeit. "Es ist nicht Not am Mann, aber wir werden für alle Schriftarten was machen müssen", sagt Albert-Jan Pool, Lehrbeauftragter für Schriftgestaltung an der Muthesius Kunsthochschule Kiel und kein Fan deutscher Sonderbuchstaben: "Das ,ß' hätte man auch gleich abschaffen können, das verursacht nur Elend." Den Schriftendesignern bereitet die Gestaltung Kopfzerbrechen. Eine Lösung könnte sein, das große "ß" am kleinen anzulehnen, es etwas breiter und den Bauch unten dicker zu machen. Aber es darf auch nicht zu sehr wie das "B" aussehen. Oder man löst sich von der ursprünglichen Form und verschmilzt "S" und "Z" zu einem neuen Buchstaben.

Der normale "ß"-Nutzer vor der Tastatur fragt sich: Wo finde ich das große "ß"? Damit ein Buchstabe in der Groß-Version erscheint, hält man normalerweise die Shift-Taste gedrückt und tippt den Buchstaben. Macht man das mit der "ß"-Taste, ploppt nur das Fragezeichen auf.

Auch Tastaturen müssen also den neuen Buchstaben lernen. Bisher hat nur der Hersteller Cherry ein Gerät im Angebot, auf dem das "ß" mit Respekt behandelt wird. Mit dem Einsatz von zwei Fingern (auf den Tasten Alt Gr und H) kann es groß getippt werden. Die Tastatur-Hersteller warten nun darauf, dass das Deutsche Institut für Normung die Tastatur-Standards aktualisiert. Bei Cherry heißt es, es gebe Überlegungen, das Grad-Zeichen, den kleinen hochgestellten Kreis, neben der Eins durch das große "ß" zu ersetzen.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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