Türkei/EU:Signale aus Ankara

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In großer Eile und gegen Widerstände aus den Reihen des türkischen Militärs hat das Parlament in Ankara zeitgleich mit dem Beginn des EU-Gipfels in Griechenland ein neues Paket mit EU-Reformgesetzen verabschiedet.

Christiane Schlötzer

(SZ vom 21./22.06.2003) Die türkische Regierung wollte damit ein Signal an die EU-Staats- und Regierungschefs senden. "Dieses Paket ist ein wichtiger Schritt für die Türkei auf dem Weg zu einer moderneren Gesellschaft", pries Justizminister Cemil Cicek die zehn neuen Gesetze.

Danach dürfen auch private Radio- und Fernsehstationen künftig Programme in kurdischer Sprache ausstrahlen. Dies war zuvor nur dem staatlichen Rundfunk TRT erlaubt worden. TRT aber zeigt sich bislang unwillig, kurdische Programme zu senden und will sogar vor Gericht dagegen klagen, dass man ihn dazu verpflichten könnte.

Der berüchtigte Artikel 8

In den Aufsichtsgremien von Rundfunk, Film und Fernsehen wird es künftig keinen Vertreter der Militärs mehr gegeben. Dagegen hatten die Generäle protestiert. Eltern dürfen ihren Kinder zudem ungehindert kurdische Vornamen geben.

Abgeschafft wurde der berüchtigte, weit gefasste Artikel 8 des Antiterrorgesetzes, der "Propaganda gegen die Einheit der Nation" mit bis zu drei Jahren Haft bestrafte. Dies traf vor allem kurdische Politiker und Schriftsteller.

Einwände der Armee räumte die Regierung in diesem Fall mit dem Hinweis aus, auch das Strafgesetzbuch sehe "harte Strafen" bei politischen Delikten vor. Aus dem Gesetzbuch gestrichen wurde die türkische Eigenheit, "Ehrenmorde" mit nur wenigen Jahren Haft zu ahnden.

Vor allem in ländlichen Gebieten werden immer noch junge Mädchen - meist von Verwandten - getötet, weil schon ein kurzer Flirt als Ehrverletzung gilt.

Streit über Luftwege mit Griechenland

Ein weiteres Reformpaket, das direkte Eingriffe in die Macht der Militärs enthält, soll in Kürze auf den Weg gebracht werden. Die EU will im Dezember entscheiden, ob die Türkei 2005 Verhandlungen über eine Aufnahme in die Union beginnen darf.

Als Befürworter solcher Gespräche galt bislang Griechenland. In jüngster Zeit hat sich das Klima zwischen den Nachbarn jedoch merklich abgekühlt, vor allem nach neuem Streit über die Luftstraßen über der Ägäis.

Auf dem EU-Gipfel sagte Athens Außenminister Giorgos Papandreou, die Türkei müsse noch weitere Schritte tun, damit ihre Hoffnungen auf eine EU-Mitgliedschaft erfüllt werden könnten. Papandreou verwies dabei auch auf die Überwindung der seit 1974 bestehenden Teilung Zyperns.

(sueddeutsche.de)

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