Türkei und Israel:Im Testosteron-Trio

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Der türkische Präsident Erdoğan und Israles Premier Netanjahu versöhnen sich - und Russlands Präsident Putin ist dabei. Zufall? Nein, das Ensemble der starken Männer betreibt Interessens-Politik. Gerade brauchen sie Freunde. Lange muss das Bündnis nicht halten.

Von Peter Münch

Wenn es eine Dopingliste für die Diplomatie gäbe, müsste Testosteron darauf ganz oben stehen. Wer zu viel davon verwendet, könnte einfach disqualifiziert werden, und ein Problem wäre das dann gewiss nicht nur für die notorisch verdächtigen Russen. Auch der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wären in den vergangenen Jahren von einer Sperre bedroht gewesen, weil sie breitbeinig und brustgeschwellt die vormals freundschaftlichen Beziehungen ihrer Länder ruiniert haben.

Doch weil in der Politik anders als im Sport meist das Ergebnis alle Mittel heiligt, bekommen die Testosteron-Sünder nun eine neue Chance: Zum einen dürfen sich Netanjahu und Erdoğan feiern lassen für ein Versöhnungsabkommen, zum andern begradigt Erdoğan gleich noch die Front mit Moskau, indem er öffentlich den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs bedauert. Die Frage ist nur, ob die Beteiligten tatsächlich künftig ohne Doping Politik betreiben können.

Es ist kein Zufall, dass der große Versöhnungstag nun im Dreieck gefeiert wird. Netanjahu hat in den vergangenen Monaten eine Männerfreundschaft mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin entwickelt. Zu den Sonderbarkeiten dieser Beziehung gehörte es, dass Putin dem israelischen Premier erst jüngst zu einem Abkommen mit Ankara geraten hat, obwohl er selbst noch mit Erdoğan über Kreuz lag. Offenkundig also hat das Testosteron-Trio gemeinsame Interessen entdeckt, die schwerer wiegen als jeder aktuelle Zwist.

Erdoğan und Netanjahu schließen einen Zweckfrieden auf Zeit

Abgeräumt wurden deshalb nun an einem Tag gleich zwei Konfrontationen, die auf den Beziehungen lasteten. Im türkisch-russischen Fall war dies womöglich noch einfacher, weil es lediglich galt, die Lösch-taste für das vergangene halbe Jahr zu drücken. Die akute Eiszeit hatte ja erst im November begonnen, nachdem ein russischer Kampfjet abgeschossen worden war, der im Syrien-Einsatz angeblich in den Luftraum der Türkei eingedrungen war.

Im israelisch-türkischen Fall dagegen hatte der Konflikt noch weit mehr Zeit, sich tief einzugraben. Hier kam es zum Bruch nach einem Blutbad im Mai 2010, als Israels Marine auf hoher See zehn türkische Staatsbürger tötete, die auf einem Schiff voller Hilfsgüter die Seeblockade des Gazastreifens auch mithilfe von Äxten und Stöcken durchbrechen wollten. Was hinterher passierte, darf als Paradebeispiel für fehlgeleitet Macho-Politik gelten. Die Israelis zeigten sich prallstolz über die gelungene Abwehraktion gegen mutmaßliche Terroristen. Die Türken wetterten über ein Massaker und schwangen sich fortan zum Schutzpatron der im Gazastreifen herrschenden Hamas auf.

In dem von beiden Seiten angeheizten Konflikt wurde leichtfertig die geopolitisch bedeutsame Brücke zwischen dem jüdischen und dem muslimischen Mittlerstaat eingerissen. Wenn nun sechs Jahre nach dem Vorfall auf der Mavi Marmara endlich umgesteuert wird, ist in jedem Fall beiden Ländern gedient. Denn geschuldet ist diese Versöhnung vor allem der Erkenntnis, dass sowohl Israel als auch die Türkei von einer zunehmenden internationalen Isolierung bedroht sind.

Ende gut, alles gut? Nicht ganz. Denn jenseits der gemeinsamen Interessen gibt es weiterhin strategische Differenzen zwischen Israel und der Türkei. Außerdem neigen die temperamentvollen Staatenlenker beider Seiten zu Taschenspielertricks. So schön wie früher also wird es nie mehr werden. Bestenfalls kann das Abkommen nun zu einer neuen Zweckbeziehung auf Zeit führen. Aber das immerhin ist schon viel besser als der in den vergangenen Jahren zelebrierte offene Konflikt. In Harmonie mit den Hormonen lässt sich einfach besser Politik betreiben.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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