Türkei:Gül zum neuen Präsidenten gewählt

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Ungeachtet scharfer Kritik des Militärs ist der frühere Islamist Abdullah Gül zum neuen Präsidenten der Türkei gewählt worden. Der bisherige Außenminister des EU-Aspiranten setzte sich am Dienstag im Parlament in Ankara im dritten Wahlgang durch.

Ein "Kind der Republik" wird Abdullah Gül in der Türkei manchmal genannt - und das nicht nur, weil er am Nationalfeiertag der türkischen Republik, dem 29. Oktober, geboren ist. Vom Schnauzbart bis zum Schlips verkörpert der rundliche 56-Jährige die Werte und das Streben von Millionen Bürgern der modernen Türkei.

Am Dienstag war er endlich am Ziel: Im dritten Anlauf wählte ihn das Parlament in Ankara zum Staatsoberhaupt. Gül erhielt in dem 550 Sitze zählenden Abgeordnetenhaus mit 339 Stimmen die nötige einfache Mehrheit. In den ersten beiden Wahlgängen hatte Gül in der vergangenen Woche die erforderliche Zweidrittelmehrheit von 367 Abgeordneten verfehlt.

Der überzeugte Muslim ist der erste Politiker an der Spitze des türkischen Staates, der aus dem religiösen Lager kommt.

Gül wiederholte nach seiner Vereidigung, er wolle Präsident aller Türken werden und werde die säkularen Grundsätze der Republik achten, zu denen auch die Religionsfreiheit gehöre.

Noch am Montag warnte Armeechef General Yasar Büyükanit vor einer schleichenden Aushöhlung der Trennung von Staat und Religion.

Beobachter sahen darin eine Drohung, dass die Armee, die sich als Hüterin des weltlichen Erbes von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk versteht, einer schleichenden Islamisierung des Landes nicht tatenlos zusehen wird.

Gül, der im neuen Amt auch Oberkommandierender der Streitkräfte des Nato-Landes ist, hat wiederholt versichert, die verfassungsmäßige Trennung von Staat und Religion einhalten zu wollen. Der neue Präsident ist auch deshalb umstritten, weil seine Frau des in öffentlichen Gebäuden verbotene Kopftuch trägt.

Güls erster Anlauf aufs Präsidentenamt war im Frühjahr am Wahlboykott der oppositionellen Sozialdemokraten und einem Urteil des Verfassungsgerichts gescheitert.

Mit einem Veto kann der Präsident Gesetze verhindern

Die Folge waren eine Staatskrise und vorgezogene Neuwahlen, aus denen die seit 2002 regierende AKP gestärkt hervorging. Unter der Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat die Türkei einen bislang ungekannten wirtschaftlichen Aufschwung genommen und sich durch Reformen auf den EU-Beitritt vorbereitet.

Der 56-jährige promovierte Volkswirt Gül, der fließend Englisch spricht, gilt innenpolitisch als Reformer und außenpolitisch als Architekt des angestrebten Beitritts der Türkei zur Europäischen Union (EU). Er ist ein enger Vertrauter von Ministerpräsident Erdogan, der wie Gül ein früherer Islamist ist.

Erdogan kündigte unmittelbar nach der Wahl seines Parteifreundes an, dem neuen Präsidenten am Mittwoch seine Kabinettsliste vorzulegen. Vorgänger Sezer hatte die Bestätigung der Regierungsmannschaft verweigert.

Viele Beobachter gehen davon aus, dass Präsident Gül eine Konfrontation mit dem Militär vermeiden wird. "Von einem Präsidenten Gül sind keine radikalen Schritte zu erwarten. Seine Gegner, die solche Entscheidungen befürchten, wird er überraschen und seine Anhänger, die auf radikale Schritte hoffen, wird er enttäuschen", sagte der Politikexperte Cengiz Candar voraus.

Die türkischen Finanzmärkte hatten nach der Warnung der Armee nervös reagiert, sie litten aber auch unter den schwächeren Weltmärkten.

Der türkische Präsident hat überwiegend repräsentative Aufgaben. Er kann mit seinem Veto aber Gesetze und die Ernennung von Beamten blockieren. Außerdem beruft er Richter in ihre Ämter.

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