Türkei:Das Tuch wird zum Strick für die AKP

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Schlechte Nachrichten für die türkische Demokratie: Die Justiz lässt keinen Zweifel mehr daran, dass sie die Regierungspartei verbieten wird.

Kai Strittmatter, Istanbul

"Schlechte Nachrichten für die AKP", schrieb die Zeitung Radikal am Freitag. Schlechte Nachrichten für die türkische Demokratie, möchte man hinzufügen. Die Entscheidung der Verfassungsrichter, die Kopftuchreformen der Regierung zu kippen, hat zwei Dimensionen. Erstens erneuert sie das kontraproduktive Kopftuchverbot an den türkischen Hochschulen. Und zweitens: In der Türkei gilt es nun als sicher, dass bald auch die AKP selbst verboten wird. Weil dieselben Richter über beide Fragen befinden. Und weil die Kopftuchreformen der AKP ein wichtiger Teil jener Anklageschrift sind, die gegen die Partei gerichtet ist.

Mit oder ohne Kopftuch - in der Türkei nicht nur eine Glaubensfrage. (Foto: Foto: AFP)

Zum Kopftuch: Glaubt man den Gegnern, dann ist die säkulare Ordnung der Republik in Gefahr, wenn es Studentinnen erlaubt wird, den Campus mit Kopftuch zu betreten. Das ist Unsinn. In keinem einzigen Land Europas ist das Kopftuch an Universitäten verboten. Um wie viel diskriminierender aber ist ein solches Verbot in einem Land wie der Türkei, das fast ausschließlich von Muslimen bevölkert wird und in dem zwei von drei Frauen Kopftuch tragen.

"Das Kopftuchverbot spielt gerade jenen in die Hände, die kein Interesse an der Vermittlung von staatlicher Bildung an Frauen haben", sagt Cemal Karakas von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Eingeführt wurde das Verbot in der Türkei außerdem erst nach dem Militärputsch von 1980. Gerade dieser Bann aber führt zu dem, was das säkulare Lager gerne beklagt: zur Politisierung der Religion. In der Türkei erhebt das Verbot das Kopftuch erst zu einem politischen Symbol.

Der Generalstaatsanwalt macht in seiner Anklageschrift gegen die regierende AKP die Freigabe des Kopftuches an den Unis zu einem zentralen Glied in seiner Beweisführung, wonach die Partei drauf und dran sei, die Türkei zum Gottesstaat umzugestalten. Man würde ihm und dem gesamten kemalistischen Lager etwas mehr Vertrauen in die eigenen Landsleute wünschen. Die Türken sind ein konservatives und zum großen Teil frommes Volk, aber die Scharia hätte bei ihnen keine Chance.

Der oberste Theologe des Landes, Ali Bardakoglu, hat in dieser Woche erklärt, der Koran unterstütze die Einehe, Minderjährige dürften auf keinen Fall verheiratet werden und nein, Flirten sei keine Sünde. Die religiöse Praxis sei stets den Zeiten anzupassen. So ein Land ist die Türkei. In einer Umfrage des Istanbuler Forschungsinstitutes Tesev unter gläubigen Türken hat die überwältigende Mehrheit angegeben, selbstverständlich in einem säkularen Staat leben zu wollen.

Ein Machtkampf tobt

Aber es ist nicht nur das Misstrauen gegen die anatolischen Aufsteiger von der AKP - gegen das eigene Volk letztlich -, das in den Gerichtsverfahren zum Ausdruck kommt. Hier tobt ein Machtkampf. Man stelle sich vor: Es soll eine Regierung verboten werden, die eben erst mit absoluter Mehrheit ins Parlament gewählt worden ist.

Die Richter maßen sich eine Kompetenz an, die ihnen in einem wahrhaft demokratischen System nicht zustehen würde (die Verfassung, die sie verteidigen, wurde von den Putschgenerälen von 1980 diktiert). Sicher, die AKP hat Fehler gemacht: Sie hat liberale Unterstützer brüskiert, weil sie nach ihrer Wahl Reformen für mehr Meinungsfreiheit und Bürgerrechte ignoriert und sich allein auf die Kopftuchfrage gestürzt hat.

Es gibt viele Gründe, von der AKP enttäuscht zu sein. Es gibt aber keinen Grund, sie zu verbieten. Die AKP ist mit all ihren Defiziten noch immer die mit Abstand europafreundlichste und demokratischste Partei im Parlament. Man schaue sich nur an, wer auf der anderen Seite steht. Sabih Kanadoglu etwa, ehemaliger Generalstaatsanwalt und Vorzeige-Kemalist, reibt sich schon die Hände: "Die Tage, da die Türkei nicht länger von Brüssel oder von Washington aus regiert werden wird, sondern von Ankara, sind näher als man denkt."

© SZ vom 07.06.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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