Tsipras in der Türkei:Kalter Empfang für Tsipras

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Griechenlands Premier Alexis Tsipras beim Besuch des griechisch-orthodoxen Patriarchats in Istanbul. (Foto: Murad Sezer/Reuters)

Griechenlands Premier wirbt in der Türkei für eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage - ein schwieriger Besuch.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Alexis Tsipras hat ja schon viel Gefühlskälte zu spüren bekommen. Im Sommer zum Beispiel, als die Griechen am Abgrund standen und wieder Geld von den europäischen Geldgebern brauchten. Einfühlungsvermögen, Mitgefühl gar - das war nicht weit verbreitet. Aber dieser Moment? Wirklich gespenstisch.

Der griechische Premier sitzt im Fatih-Terim-Stadion an der Seite von Ahmet Davutoğlu, dem türkischen Regierungschef. Das Testspiel Türkei-Griechenland geht gleich los. Die griechische Nationalhymne wird gespielt. Pfiffe. Man will mit einer Schweigeminute der Terroropfer von Paris gedenken. Aber es wird einfach nicht still. Wieder Pfiffe. "Allah-ist-groß"-Rufe. "Was ist mit uns passiert?", fragt Trainer Fatih Terim später. "Wir hatten immer Respekt vor unseren Nachbarn." Es war klar, dass dies kein einfacher Besuch für Tsipras werden würde.

Für zwei Tage ist er in der Türkei. Auf der einen Seite seine Griechen, die monatelang trotz Schuldenkrise darum gekämpft hatten, Teil der europäischen Familie bleiben zu können. Und auf der anderen Seite diese Türkei, die immer weiter von Europa abrückt, wie dieser Abend im Stadion so traurig vor Augen führt. Dabei brauchen sie sich. In der Nacht zu Dienstag sind wieder mindestens neun Flüchtlinge bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ums Leben gekommen.

"Wir müssen dieses Drama beenden", sagt Tsipras. Es geht gegen Menschenhändler

Mehr als 650 000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr über die Türkei nach Griechenland gekommen. Tsipras Migrationsminister Yannis Mouzalas hat Karten vorbereiten lassen. Sie zeigen, dass die Migranten keinen Weg unversucht lassen, nach Griechenland überzusetzen. Das krisengeschüttelte Land ist überfordert, die Flüchtlinge auch nur zu registrieren. Die meisten wollen ja nicht einmal bleiben. An der türkischen Küste hat sich ein regelrechtes Geschäft entwickelt, die Migranten für die letzten Kilometer Seeweg auszustatten. Es hält sie niemand wirklich auf.

Das ist es, was die Griechen stört. In der regierungsnahen Zeitung Sabah hat Tsipras in einem Gastbeitrag geschrieben, die Situation sei für Griechenland "unhaltbar" geworden. Er will eine "neue Ära" in der Zusammenarbeit. Beim Auftritt vor der Presse gibt es immerhin schon erste Gemeinsamkeiten. Tsipras sagt, beide Länder müssten stärker gegen Menschenhändler vorgehen. "Wir müssen dieses Drama beenden. Das ist unsere Aufgabe." Einsätze der Küstenwache wolle man besser koordinieren. Das sind zwar noch keine gemeinsamen Patrouillen, wie die EU sie sich vorstellen könnte. Aber schon ein Fortschritt, wenn man bedenkt, dass es ganz ohne Flüchtlingsboote im östlichen Mittelmeer immer wieder zwischen Athen und Ankara zum Streit um Hoheitsrechte kam. Beide Länder dürften von der EU nicht alleingelassen werden. Tsipras hat vor seiner Reise mit Kanzlerin Merkel gesprochen. Geht es nach den Griechen, dann soll die Türkei Flüchtlinge bereits bei sich im Land registrieren und die EU sie direkt von dort aus auf die europäischen Länder zu verteilen. Merkels Pläne sehen ähnlich aus. Sie schlägt vor, Kontingente abzunehmen, wenn die Türkei die Grenzen besser sichert. Drei Milliarden Euro Finanzhilfe sind für die Türkei im Gespräch. Die Griechen wollen mitreden über die Rolle der Türkei, wofür das Geld ausgegeben wird. Tsipras verspricht, die Türkei bei ihren Beitrittsverhandlungen mit der EU zu unterstützen. Für die in einen türkisch-zyprischen und einen griechisch-zyprischen Teil geteilte Insel Zypern streben beide die Wiedervereinigung an.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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