Tsipras-Besuch:Merkels Milde

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Die Kanzlerin gibt sich beim Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Berlin verständnisvoll. Nur einmal wirkt sie irritiert.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Es lag diese angespannte Atmosphäre in der Luft, die immer da ist, wenn ein Schüler nachweisen muss, dass er seine Hausaufgaben gemacht hat. Und das vor einer Lehrerin, die nicht gewillt ist, sich besonders großzügig zu zeigen. Genau diese Rollen spielten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras am Freitag im Bundeskanzleramt in Berlin, als sie vor einem gemeinsamen Essen noch schnell einen öffentlichen Auftritt absolvierten.

Merkel brauchte keine sechs Minuten, um zu signalisieren, dass sie keineswegs gewillt sein werde, auch nur über eines der strittigen Themen öffentlich zu reden. Flüchtlings-Hotspots auf den griechischen Inseln? Schuldenerleichterungen? Die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds am Kreditprogramm? Die Kanzlerin brachte das Kunststück fertig, keines dieser Worte zu erwähnen. Und wer darauf gehofft hatte, wie Abgeordnete der Unionsfraktion, dass sie dem Premier die Leviten lesen würde, weil er trotz Sparauflagen und ohne Rücksprache mit den Kreditgebern 617 Millionen Euro an bedürftige Rentner verteilen will, sah sich ebenfalls getäuscht. "Hier ist nicht der Ort, wo Entscheidungen gefällt werden", beschied Merkel. Zuvor hatte sie ein paar ermutigende wie mitfühlende Worte an den neben ihr ausharrenden Tsipras gerichtet, etwa, dass Griechenland "durch keine einfache Phase" gehe und Deutschland "bilateral so hilfreich wie möglich" sein wolle, dem Land zu helfen, die "riesigen Herausforderungen" zu meistern.

Die Bundeskanzlerin nickt, bis Tsipras seine Geschenke an die Rentner verteidigt

Der griechische Premier bedankte sich artig dafür, nach dem Treffen auf dem EU-Gipfel am Vorabend in Brüssel erneut "Gelegenheit zu einem Meinungsaustausch" zu haben. Wohlwissend, dass die Kanzlerin auf Nuancen in seiner Wortwahl achten würde, hielt er seinen Blick starr in den vor ihm stehenden Laptop gerichtet. Man untersuche Möglichkeiten, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei besser umzusetzen, las er ab. Merkel, von der Seite auf ihn schauend, nickte. Auch zu anderem. Bis Tsipras seine Weihnachtsgeschenke an die Rentner verteidigte.

Man dürfe nicht nur über Zahlen und Wachstum reden, "sondern dass die Wunden der Krise behoben werden können". Man müsse vor allem denjenigen helfen, "die enorme Opfer erbracht haben, im Namen Europas und im Namen der europäischen Stabilität". Merkel fixierte bei diesen Worten einen Punkt auf dem Boden. Erst als Tsipras allen schöne Weihnachten wünschte, sah sie ihren Schüler wieder freundlich an. Es sah so aus, als habe er diesen Test bestanden. Wobei man gern noch nachgefragt hätte. Das allerdings war nicht vorgesehen.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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