Transrapid:Auf Sicherheit bewusst verzichtet

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Viele Spekulationen bei der Ursachenforschung - klar ist nur, dass mit überholter Technik gearbeitet wurde.

Ralf Wiegand

Wenigstens für ein paar Stunden wird an diesem Mittwoch der Opfer gedacht werden. Der Unfall des Transrapid ist so schnell zum Politikum und zum Kriminalfall geworden, dass über die 23Toten und zehn Verletzten kaum noch jemand spricht. Heute nun findet der zentrale ökumenische Gedenkgottesdienst in der St. Vitus Kirche von Lathen statt.

Aber eine stille Andacht wird auch das nicht sein, denn auf den Kirchenbänken werden neben den Angehörigen wieder Politiker und Ermittler sitzen. Bundespräsident Horst Köhler wird dabei sein, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee - und die Staatsanwaltschaft Osnabrück.

Es sieht gerade so aus, als seien nicht vor allem 23 Menschen beim Transrapid-Unglück im Emsland gestorben, sondern ein Stück vom Standort Deutschland. Ungewöhnlich schnell hat die Politik den Zusammenstoß der Magnetschwebebahn mit einem Inspektionsfahrzeug instrumentalisiert. Dennoch interpretiert jeder die spärlichen Ermittlungsergebnisse, wie es ihm passt - entweder als Beleg für die Unzulänglichkeit der Technik oder als Beweis dafür, dass nur menschliches Versagen das an sich sichere System beschädigen konnte.

Immerhin scheint nun klar zu sein, dass im Emsland mit überholter Technik gearbeitet wurde: Die Betreibergesellschaft IABG hat gestern eingeräumt, man habe auf ein verbessertes Sicherheitskonzept verzichtet. Es habe zwar seitens des Teststreckenpersonals in Lathen "vor ein bis zwei Jahren" den Wunsch gegeben, auch Sonderfahrzeuge wie Werkstattwagen in das technologische Sicherungskonzept mit aufzunehmen. Das Anliegen sei jedoch verworfen worden unter Hinweis darauf, dass es sich in Lathen um eine "Versuchsanlage, nicht aber um eine zur Praxisanwendung" handele.

"Auch technisches Mangelwerk"

Jene Politiker und Experten, die für die Transrapid-Technik plädieren, sympathisieren mit der Variante, wonach eine Kette von Fehlern in der Leitstelle und auf dem Führerstand des Zuges gemacht worden sei. So sagte eine Sprecherin der Betreibergesellschaft - obwohl der Funkverkehr noch gar nicht ausgewertet worden ist -, sie könne nicht verstehen, "warum die ganze Kommunikation mit der Leitstelle nicht geklappt hat". Nur die Kommunikation - das wäre der voreilige Freispruch für die Schwebetechnik.

Dem Verkehrsexperten der Grünen im Bundestag, Winfried Hermann, kommt dagegen gegenüber dem NDR leicht über die Lippen, es habe "auch technisches Mangelwerk" vorgelegen, "muss man fast sagen". Das muss man - aber nur dann, wenn man wie Hermanns Chefin, die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth, den sofortigen Stopp der teuren deutschen Transrapid-Träume fordert.

Womöglich wird, je weiter man weg ist vom platten Land nahe der niederländischen Grenze, die Modernität des Transrapid überschätzt. Die Teststrecke im Emsland gibt es seit 22 Jahren, in die grauen Betonstelen hat der Regen rostige Spuren gewaschen. Im Emsland begegneten sich die Bauern, die unten ihre Rübenernte mit dem Traktor einfuhren, und Züge, die sechs Meter über ihnen auf einem Luftkissen schwebten. Das alles war hier unspektakuläre Routine, seit vielen, vielen Jahren.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind schwierig. Während die ermittelnde Behörde "lieber sorgfältig als unbedingt sehr schnell", wie Sprecher Alexander Retemeyer sagt, nach Ergebnissen sucht, sehnen andere schon ein Gutachten herbei, das den Bau der Münchner Transrapidstrecke retten könnte. So sind auch Experten des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) an der Strecke in der Nähe der Gemeinde Lathen.

Zunächst hat sie die Staatsanwaltschaft Osnabrück "im Rahmen der Amtshilfe" angefordert, um die Ursachen des Unfalls zu erforschen, sagt Stefan Hinrichs vom EBA. Schon bald dürfte aber der Auftrag für ein Sicherheitsgutachten durch das Verkehrsministerium folgen, "danach sieht es wohl aus", sagt Hinrichs. Ob Staatsanwaltschaft und EBA dann noch an derselben Sache arbeiten?

Die Ermiitungsarbeit steht ganz am Anfang. Es ist noch nicht einmal klar, welche Personen sich zum Zeitpunkt tatsächlich in der Leitstelle befanden, denn es gibt zwar Dienstpläne, "aber das kann für uns nicht genug sein", sagt Retemeyer. Sie sagen nur aus, wer dort gewesen sein müsste. Ebenso ist offen, wo sich welche Personen im Zug aufgehalten haben. Beim Zusammenstoß hat sich der Werkstattwagen, 60 Tonnen schwer, über die Bodengruppe des Transrapid geschoben.

Nichts ist mehr an der Stelle, an der es einmal war, auch keine Leiche oder, wie in diesem Fall: Leichenteile. Der Funkverkehr wurde mit einem uralten System aufgezeichnet; ihn abzuspielen bedarf spezieller Geräte. Die Manöver in der Leitstelle, wo die Strecke für die spätere Todesfahrt freigegeben wurde, sind nur handschriftlich festgehalten worden.

Widrige Umstände, weswegen es mehrere Wochen dauern soll, bis der Vorwurf der fahrlässigen Tötung konkreten Personen gemacht werden kann. Erst dann könnte es eine Antwort geben auf die Frage: Wer ist schuld am Tod von 23 Menschen - die Technik oder die Techniker?

© SZ vom 27. September 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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