Trainieren für Olympia:Chinas "Great Wall of Fire"

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China überwacht mit mehr als 30.000 Internetpolizisten das Web. Die Zensur funktioniert erstaunlich gut. Der Glaube, das Internet bringe auch in Diktaturen automatisch Freiheit, ist falsch - wie das Beispiel des Dissidenten Hu Jia zeigt.

Kai Strittmatter

JIN DUN

(Foto: N/A)

Goldener Schild. Manchmal auch: Great Firewall of China

Ein Projekt zur Kontrolle des Internets unter der Ägide des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit in Peking. Der Goldene Schild operiert seit 2003 getreu den Vorgaben von Staats- und Parteichef Hu Jintao, "eine Internet-Kultur mit chinesischen Besonderheiten zu schaffen".

Zu diesen Besonderheiten zählen

- die Tatsache, dass sämtlicher Internetverkehr zwischen China und dem Ausland durch drei Knoten geleitet wird: einen für die Gegend um Peking, einen in Schanghai und einen in Kanton;

- die schätzungsweise mehr als 30.000 Beamten der Internetpolizei, die an diesen Knotenpunkten und im Land selbst den Datenverkehr überwachen;

- die zwei virtuellen Polizisten mit den Namen Jingjing (warne, warne) und Chacha (durchsuche, durchsuche), freundliche Cartoonfiguren, die dann zeigefingerwedelnd auf dem Bildschirm auftauchen, wenn man Begriffe eingibt wie "tibetische Unabhängigkeit";

- die mehr als 50 Chinesen, die derzeit in Gefängnissen einsitzen wegen einer unvorsichtigen E-Mail oder eines kritischen Blogs. Am heutigen Donnerstag bekamen sie einen neuen Zellengenossen: den 34-jährigen Hu Jia, der wegen seiner online veröffentlichter Aufsätze zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Das Urteil: "Versuchter Sturz der Staatsgewalt". Hu Jia hatte von seiner Regierung unter anderem gefordert "den Geist der olympischen Idee zu respektieren".

Der Goldene Schild lässt sich innerhalb Chinas mit vergleichsweise einfachen technischen Kniffen umgehen. Dennoch ist er erstaunlich erfolgreich. Sein Erfolg widerlegt Internetoptimisten wie Rupert Murdoch und Bill Clinton. Der Verleger Murdoch hatte 1993 die neuen Kommunikationstechnologien stolz zur unüberwindbaren "Bedrohung für totalitäre Regime" erklärt, im Jahr 2000 dann prophezeite US-Präsident Bill Clinton, Freiheit werde sich weltweit unweigerlich "über Handys und Modems" verbreiten. Das Beispiel China hingegen zeigt, wie verblüffend gut Gedankenkontrolle auch im Zeitalter des Internets funktioniert, wenn Manipulation und Scheinfreiheit Hand in Hand gehen.

Plattform für die Freiheit? Die Webseite des Parteiblatts Volkszeitung heute über den Dalai Lama: "Der Plan des Dalai Lama für ein Großtibet stachelt den Hass der Völker an". Liest eh keiner? Stimmt. Aber schauen Sie mal, was kürzlich in chinesischen Foren die Runde machte: eine von chinesischen Usern selbstgebastelte "Volkszeitung". Die Schlagzeile: "China testet erfolgreich Atombombe über San Francisco." Daneben: "UN-Hauptquartier zieht nach Peking". Tibet kommt auch vor: "Dalai Lama erschossen" melden die chinesischen Hobbyredakteure erfreut.

Die Internetüberwachung in China ist vielfältig und wird ständig - auch mit Hilfe westlicher Firmen - verfeinert. Portale und Anbieter innerhalb Chinas verpflichten sich ohnehin zur Selbstzensur und löschen kritische Userkommentare im Minutentakt. (Die Firma Yahoo lieferte gar den Autoren Shi Tao an die chinesische Polizei aus, nachdem er eine anonyme E-Mail versandt hatte. Shi Tao sitzt noch immer im Gefängnis.)

Bestimmte ausländische Webseiten wie BBC News oder Wikipedia werden ganz blockiert (einer Studie der Harvard-Universität zufolge waren das vor zwei Jahren 18.000 Stück), manche aber auch nur dann, wenn sie über bestimmte Themen wie Taiwan oder Tibet berichten. Chinesische Suchmaschinen wie Baidu oder Sogou blockieren die Suche nach Wörtern wie "4. Juni" (Tag des Tiananmen-Massakers); ein Suchbegriff wie "Menschenrecht" führt ausschließlich auf offizielle Webseiten wie www.gov.cn, wo man informiert wird, dass "Menschenrechte in China besonderen politischen Schutz genießen".

Die Liste der Tabuwörter wird ständig aktualisiert. Wenn zum Beispiel in einer Kohlegrube wieder Hunderte Bergleute ums Leben gekommen sind, dann wird der Name der Grube und Stadt gesperrt. Manchmal schweben die virtuellen Beamten Jingjing und Chacha auf einer fliegenden Maus herbei, um den Sucher zu ermahnen, oft heißt es "Site not found".

All diese Hürden wären jedoch zu umgehen: etwa mit Hilfe von kostenlos zugänglichen Proxyservern oder sogenannten VPN (virtuellen privaten Netzwerken), die gegen eine Abogebühr verschlüsselten Datenverkehr mit dem Ausland erlauben. Und doch macht das kaum einer in China. Die einen, weil es ihnen zu mühsam ist. Die anderen, weil Einschüchterung und soziale Kontrolle funktionieren: Man weiß, dass man überwacht wird. "Selbst wenn sie leicht zu umgehen ist, führt die Existenz der Zensur zu Selbstzensur", sagt China-Beobachter Xiao Qiang von der kalifornischen Universität Berkeley.

Viele Chinesen haben heute das Gefühl, so viel Freiheit zu genießen wie nie zuvor: Auch in der Informationsflut des gesäuberten und zensierten chinesischen Internets kann man noch dutzendmal ertrinken. Gleichzeitig hat die Regierung bestimmte Themen erfolgreich aus dem öffentlichen Gedächtnis gelöscht und aus der öffentlichen Debatte verbannt. Von vielen Dingen, die die Debatte im Westen bestimmen, wissen junge Chinesen - selbst solche, die sich selbst als kritisch einschätzen - einfach nichts. Nichts von der Rolle ihres Landes als Waffenlieferant an das Regime im Sudan. Nichts von der Kontroverse um den Dreischluchtendamm. Nichts von der Verhaftung Hu Jias. Nichts von der Geschichte Taiwans oder Tibets, was von der großchinesischen Propaganda abweicht.

Die Zensur funktioniert. Die nationalistische Gehirnwäsche funktioniert. Vermische die Manipulation mit einem Fünkchen Wahrheit (westliche Zeitungen haben Bilder aus Tibet falsch untertitelt) und du bekommst solche Blogbeiträge: "Ausländer sind alle gehirngewaschen" oder: "Tobt und brüllt wie ihr wollt. Wen kümmert das? So lebt unser Land: Groß! ... Ihr wollt die Olympischen Spiele boykottieren? Vielleicht sollten wir das zuerst tun!"

Diese Woche war eine Vorhut des IOC in Peking. Sie verlangten von den Chinesen freien Zugang zum Internet während der Spiele. Keine Angst, das wird klappen. Wie der Atlantic Monthly in einem hervorragenden Stück zu Chinas Goldenem Schild unlängst erklärte, sind die Vorbereitungen längst getroffen: Die Internetpolizei hat schon Anweisungen erhalten, die Zugänge freizuschalten in sämtlichen Hotels, Internetcafés und anderen Orten, die von ausländischen Journalisten und Sportlern besucht werden. Nur dort und nur für die Dauer der Spiele. Die Ausländer sollen nichts merken vom großen Bruder. Auch in der virtuellen Welt basteln sie fleißig an ihrem Potemkinschen Dorf.

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