Tod im Gefängnis:Mord in der Zelle

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In einer Gefängniszelle in Siegburg ist ein junger Mann von Mithäftlingen getötet worden. Die Tat zeigt, wie notwendig die grundlegende Reform des Jugendstrafvollzuges ist. Man darf jungen Straftätern nicht alle Chancen nehmen.

Felix Berth

Der Staat muss die Sicherheit seiner Bürger gewährleisten. Dieser Satz gilt für alle Deutschen - für die vielen, die niemals in einem Gefängnis landen, genauso wie für die wenigen, die dort einsitzen.

Eine Überwachungskamera am Gebäude der Justizvollzugsanstalt Siegburg (Foto: Foto: dpa)

Doch an dieser Pflicht ist der Staat nun schrecklich gescheitert: Im Jugendgefängnis Siegburg starb ein junger Mann, gequält und gefoltert von drei Mithäftlingen. Die Vollzugsbeamten? Sie sahen nichts, hörten nichts, sagten nichts. Und die Politiker? Sie erkennen einen tragischen Einzelfall, der nichts mit dem Zustand des deutschen Strafvollzugs zu tun habe.

Der Tod des jungen Mannes, der eine halbjährige Freiheitsstrafe wegen Diebstahls absitzen sollte, zeigt auf furchtbare Weise, wie der Alltag in deutschen Jugendgefängnissen aussieht. Viele Anstalten sind überlastet; das wenige Personal ist überfordert.

Angesichts der kriminellen Karrieren der Insassen ist das fatal: Etwa die Hälfte sitzt wegen eines Gewaltdelikts; solche Täter brauchen klare Regeln, strikte Kontrolle, viel Unterstützung - und nachts keine Verwahrung in einer Vier-Mann-Zelle wie in Siegburg, sondern Einzelzellen.

Das hat nichts mit "Kuschelvollzug" zu tun, sondern mit Gewaltprävention: Alle Praktiker aus den Strafanstalten wissen, dass es dort Erpressung und sexuelle Gewalttaten gibt, die freilich nur selten verfolgt werden können. Wer hier auch noch die Kontrolle reduziert, riskiert Katastrophen wie in Siegburg.

Knapp ein halbes Jahr ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht den Zustand des Jugendstrafvollzugs scharf kritisierte: Jugendliche bräuchten mehr Ausbildungschancen, großzügigere Besuchsregeln und eine bessere Vorbereitung auf das Leben draußen. Das alles, so Karlsruhe, müsse in einem Gesetz für den Jugendstrafvollzug stehen.

Geändert hat sich seit diesem Urteil wenig. Die Zahl der Betreuer stieg nicht, die Personalschlüssel blieben unverändert. Und die Stimmung draußen wandelte sich ebenfalls nicht: Dort gilt "Resozialisierung" beinahe als Schimpfwort, das einen unnötig sanften Umgang mit Jugendlichen umschreibt.

Doch der Mord von Siegburg zeigt, wie recht das Verfassungsgericht hat: Wegsperren allein hilft niemandem. Jugendliche Straftäter benötigen eine Perspektive. Sie müssen eine Möglichkeit haben, durch ihr Verhalten etwas zu bewirken, etwas für sich zu erreichen. Das können Vergünstigungen wie ein Hafturlaub sein oder eine Chance auf offenen Vollzug. Wenn ihnen nur der Blick auf die Knastmauern bleibt, wird ein Jugendgefängnis noch schneller als bisher zum Ort schrecklicher Gewalt wie in Siegburg.

Das heißt nicht, dass solche Angebote die Kontrolle ersetzen dürfen. Straftäter in Jugendgefängnissen sind keine Ladendiebe, die einmal irgendetwas mitgehen lassen wollten. Ihre kriminellen Karrieren sind meist lang, ihre Gewaltbereitschaft hoch. Das rechtfertigt die Kontrolle - doch es rechtfertigt nicht, ihnen alle Chancen zu nehmen.

© SZ vom 17.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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