Tibet:In Gefängnissen verschwunden

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Ausgekugelte Gelenke, Schlagstöcke im Mund: Am 50. Jahrestag des Volksaufstands werfen Exilgruppen Peking vor, Tibeter extrem brutal zu behandeln.

Henrik Bork, Peking

Aus Angst vor Unruhen hat die chinesische Regierung ihre Sicherheitsvorkehrungen in Tibet weiter verstärkt. Spezialkräfte seien im Einsatz und an "Grenzstationen die Kontrollen verschärft" worden, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua einen Politkommissar aus dem Polizeiministerium.

Die Staatsmacht zeigt Stärke: Chinesische Sicherheitskräfte marschieren in der südwestlichen Provinz Sichuan auf. Peking will Proteste von Tibetern wie im vorigen Jahr mit aller Härte unterdrücken. (Foto: Foto: AP)

Die Aussagen am Rande des Nationalen Volkskongresses in Peking waren eine seltene offizielle Bestätigung der angespannten Lage in der Region. An diesem Dienstag ist der 50. Jahrestag eines Volksaufstandes der Tibeter gegen die chinesische Besatzung. Es ist auch der erste Jahrestag der blutigen Unruhen.

Augenzeugen berichteten von einer massiven Präsenz auch regulärer Truppen rund um viele große Klöster.

An den Klöstern Drepung und Sera bei Lhasa, aber auch in der Nähe vieler tibetischer Klöster in den Provinzen Sichuan, Yunnan, Qinghai und Gansu, sind Soldaten stationiert und marschieren durch die Dorfstraßen.

Von der Außenwelt abgeriegelt

Im Internet kursierten trotz der scharfen Zensur Situationsberichte über die bürgerkriegsähnlichen Zustände. "Heute ist Rebkong von der Armee umzingelt", schreibt ein Blogger unter dem Pseudonym "Tongren" in einem am Sonntag veröffentlichten Eintrag.

"Das ist ein Versuch, die Bevölkerung einzuschüchtern", kommentiert der Blogger.

Die chinesischen Behörden haben Tibet bereits seit Wochen weitgehend von der Außenwelt abgeriegelt. Reisen von Ausländern in die Autonome Region Tibet, wie Peking das besetzte Kernland der Himalayaregion nennt, sind derzeit nicht möglich.

Ausländische Journalisten werden selbst in den umliegenden Tibetergebieten von Agenten der Staatssicherheit angehalten und zum Umkehren gezwungen. Damit ist knapp ein Viertel des chinesischen Territoriums, eine Region so groß wie Westeuropa, zur Sperrzone erklärt worden.

In den Straßen von Lhasa patrouillieren schwerbewaffnete Paramilitärs. Tibeter müssen an Kontrollposten ihre Ausweise vorzeigen. In Überlandbussen werden sie immer wieder zum Aussteigen gezwungen und durchsucht.

Mönche zur "Umerziehung" abgeholt

Gewöhnlich verlässliche Quellen berichten, dass 109 tibetische Mönche des Lutsang-Klosters in der westchinesischen Provinz Qinghai an diesem Dienstag von der Polizei zu "patriotischen Umerziehungskursen" abtransportiert werden sollen.

Vielerorts sind Mönche und Nonnen vorübergehend unter Bewachung festgesetzt oder zum unfreiwilligen "Besuch ihrer Heimatdörfer" aufgefordert worden. Peking hat auch begonnen, den Gebrauch von Handys in Tibet vorübergehend einzuschränken.

Vom 10. März bis zum 1. April müsse das mobile Telefonnetz in Lhasa "gewartet" werden, hieß es in eine Textnachricht des Betreibers an seine Kunden. "Bitte verzeihen Sie eventuelle Störungen", war darin zu lesen.

Die Behörden fürchten eine Wiederholung der Unruhen vom vergangenen Jahr, als, wie so häufig in der tibetischen Geschichte, am 10. März Protestmärsche von Mönchen eine Welle zivilen Ungehorsams ausgelöst hatten.

An jenem Tag im Jahr 1959 hatte der Volksaufstand der Tibeter gegen die Besatzung Tibets durch die chinesische Volksbefreiungsarmee einen Höhepunkt erreicht. Kurz darauf, am 17. März 1959, war der Dalai Lama über die indische Grenze ins Exil geflohen.

Das "Verschwindenlassen" nimmt zu

Seit den Protesten von 2008 hat die Pekinger Zentralregierung in Tibet mit harter Hand durchgegriffen. Besonders das "Verschwindenlassen" von Mönchen, Nonnen und anderen Tibetern habe deutlich zugenommen, berichten mehrere Menschenrechtsorganisationen unabhängig voneinander.

Die Unterdrückung habe ein Ausmaß erreicht, wie es "seit der Paranoia und den maoistischen Exzessen der Kulturrevolution in Tibet nicht mehr gesehen wurde", schreibt die Exiltibeter-Organisation International Campaign for Tibet (ICT) in einem 163 Seiten langen Bericht. 600 verhaftete Tibeter werden darin namentlich aufgeführt.

Tibeter würden weiterhin "verschwinden, oft mitten in der Nacht aus ihren Häusern abgeholt und in "schwarzen Gefängnissen" extremer Brutalität ausgesetzt", schreibt ICT.

Obwohl die Informationen der Gruppe oft von aus Tibet geflohenen Tibetern stammen und wegen der Abriegelung der Region nicht unabhängig überprüft werden können, decken sich viele Aussagen mit denen anderer Augenzeugen innerhalb Chinas und klingen glaubwürdig.

Die tibetischen Insassen besonders berüchtigter Arrestzellen, wie etwa der Garage des Militärgefängnisses an der südlichen Lingkor-Straße in Lhasa, würden oft von ihren chinesischen Wärtern "bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen", wird etwa eine Exilantin zitiert.

Das Auskugeln von Gelenken und das Einführen von elektrischen Schlagstöcken in den Mund seien beliebte Foltermethoden, schreibt ICT.

© SZ vom 10.03.2009/af/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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