Thailand:Gut organisierte Anarchie

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Die Opposition protestiert geordnet und weitgehend friedlich, aber die Flughafen-Besetzung schadet nicht dem Premier, sondern dem Tourismus.

Jan Bielicki und Oliver Meiler

Es war ein lauter Knall, und dann kam noch einer. Der Lärm war in der Nacht zum Freitag in den bei Bangkok-Besuchern beliebten Billiggasthäuser an der Khaosan-Straße zu hören und riss viele der Rucksack-Touristen aus ihren preisgünstigen Betten. Dann waren ein paar Schüsse zu hören. Von einem Boot auf dem Chao Praya Fluss hatten Unbekannte Granaten auf die am Rande des Touristenviertels liegende Zentrale eines Fernsehsenders abgefeuert, der als Sprachrohr der Oppositionsbewegung gilt.

Ihr Protest ist gut organisiert - schadet aber den Falschen. (Foto: Foto: AFP)

Ein paar Scheiben des mit Schutznetzen umhüllten Gebäudes gingen zu Bruch - genauso wie die Gelassenheit mancher der seit der Schließung beider Flughäfen in der thailändischen Hauptstadt festsitzenden Reisenden. Jim Russel stürzte barfuß aus seinem Zimmer, Pass und Geldgürtel in der Hand. "Das ist jetzt nicht mehr lustig", machte der Kalifornier aus San Diego seiner Nervosität Luft, "auf mich warten daheim zwei Hunde und eine Katze".

Die Blockade könnte fünf Milliarden Euro kosten

Seit Tausende, teilweise mit Knüppeln und Golfschlägern bewaffnete Demonstranten am Dienstag den Internationalen Flughafen der Acht-Millionen-Stadt besetzten und zwei Tage darauf auch den Inlandsflughafen, sitzen Tausende Touristen in Bangkok fest. Und jeden Tag werden es mehr. Nur ein Flugzeug mit muslimischen Mekka-Pilgern durfte starten, sonst geht nichts mehr an Bangkoks Flughäfen, die in der beginnenden Hochsaison täglich bis zu 150000 Passagiere abfertigen.

Die Schließung der Flughäfen, so hat die Handelskammer ausgerechnet, könnte die thailändische Volkswirtschaft allein in diesem Jahr fast fünf Milliarden Euro kosten. Die deutsche Tourismusbranche holt in Bangkok festsitzende Urlauber nach Deutschland zurück. Es sind Flüge nach Phuket geplant, Busse sollen die Touristen aus dem 800 Kilometer entfernten Bangkok herbei holen.

Barrikaden aus quergestellten Löschzügen, Gepäckwagen, Reifen und Stacheldraht versperren die Zufahrten zu den Flughäfen. Davor wachen Vermummte, Motorradhelm auf dem Kopf, Knüppel in der Hand und ein gelbes Band um den Arm, das sie als Ordner der Oppositionsbewegung ausweist. Sie halten jedes Fahrzeug an und kontrollieren die Insassen mit Metalldetektoren.

"Wir geben nicht auf", tönte ein Sprecher der Bewegung, die sich Volksallianz für Demokratie (PAD) nennt. Die martialischen Worte stehen im merkwürdigen Gegensatz zu den TV-Bildern aus dem Innern des supermodernen Abfertigungsgebäudes des Internationalen Flughafens. Tausende Demonstranten, die meisten in den gelben Hemden ihrer Bewegung, haben sich friedlich in den Hallen niedergelassen.

Weder Polizei noch Militär hatten sich den Besetzern in den Weg gestellt

Die Protestler verbreiten dieselbe Art von Festival-Atmosphäre, die auch um den Sitz des Premiers Somchai Wongsawat im Regierungsviertel der Stadt herrscht. Den halten die gelbgewandeten Regierungsgegner bereits seit August besetzt. Hier gibt es Suppenküchen, palettenweise Trinkwasserflaschen, Stände für Fahnen, T-Shirts, Anstecker und andere Politsouvenirs. Und für alle Fälle ein komplett ausgestattetes Feldlazarett. Wie so vieles in Thailand erscheint auch die Anarchie bestens organisiert.

Den Besetzern der Flughäfen hatten sich weder Polizei noch Armee in den Weg gestellt. Seit Premier Wongsawang am Donnerstagabend den Ausnahmezustand über die beiden Flughäfen verhängt hat, bewegen sich Polizeifahrzeuge auch in den Umkreis der Terminals.

Ein Polizeigeneral kündigte an, man wolle die Besetzung "auf der Basis der Gewaltlosigkeit" beenden. Doch er kündigte bei einem Scheitern auch "weitere Schritte" an. "Der letzte Schritt wird sein, die Leute auseinanderzutreiben". Der Chef der nationalen Polizei wurde am Freitag entlassen, nach Medienberichten deshalb, weil er bislang nicht rigoros genug durchgegriffen hat.

"Alle sind bereit, in den Tod zu gehen"

Der Premier sagte am Freitag, er werde die Flughäfen bald räumen. Ein Anführer der Demonstranten konterte, sie seien alle bereit, in den Tod zu gehen für ihren Kampf. Beide Seiten hofften wohl, die jeweils andere blinzle als Erste und gebe nach, wenn sie nur genügend trotzig und entschlossen auftreten würden.

Gespräche soll es auch gegeben haben, letzte Vermittlungsversuche. Doch das gab es schon bei früherer Gelegenheit, ohne dass die Demonstranten auch nur minimal von ihrer Maximalforderung abgerückt wären. Die PAD will mit ihren zunehmend rabiaten und entsprechend unpopulären Aktionen, die das politische Leben Thailands schon seit sechs Monaten gefangen halten, Premier Somchai Wongsawat zum Rücktritt zwingen.

Die Bewegung aus Royalisten, Bangkoker Geschäftsleuten und Schlägern aus der Provinz halten ihn für einen Strohmann des früheren Regierungschefs Thaksin Shinawatra (Premier von 2001 bis 2006), der großen politischen Reizfigur im Land, dessen Schwager Somchai ist.

Die Armeespitze, die in Thailand oft über die Amtsdauer von Regierungen entschied, beschreibt sich diesmal als unparteiisch. Er plane keinen Coup, sagte General Anupong Paochinda in den vergangenen Tagen immer wieder, so ließe sich der Konflikt nicht lösen. Doch als am Freitag in Bangkok einige Panzer zu sehen waren, kursierte schnell das Gerücht von einem anstehenden Militärputsch, den Anupong bald dementierte. Es habe sich bei der Verschiebung der Panzer um ein Trainingsmanöver gehandelt. Training wofür?, fragten die Medien.

© SZ vom 29.11.2008/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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