Terror:"Sie haben ihn auf die Knie gezwungen"

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Greuel in der Kirche: Nach der Attacke glich am Dienstag das Städtchen Saint-Etienne-du-Rouvray in der Normandie einem Katastrophenschauplatz. (Foto: Charly Triballeau/AFP)

Das Attentat auf einen Priester erschüttert das Vertrauen der Franzosen in die Sicherheitsbehörden. Einer der Täter war ein polizeibekannter Islamist, der mit einer elektronischen Fußfessel überwacht wurde.

Von Leo Klimm, Paris

Es war 9.25 Uhr am Dienstag, als der islamistische Terror erstmals eine Kirche in Frankreich traf - und damit einen neuen, symbolträchtigen Ort. Einen Ort, der für das Christentum und für das traditionelle Frankreich jenseits großer Metropolen wie Paris und Nizza steht.

Zwei Männer drangen während der Messe in das katholische Gotteshaus des Industriestädtchens Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie ein und nahmen sechs Geiseln. Dann schnitten sie dem Pfarrer mit einem Messer die Kehle durch. Eine weitere Geisel wurde schwer verletzt, sie soll aber außer Lebensgefahr sein. Gegen 11 Uhr wurden die beiden Täter vor der Kirche erschossen, als eine in der nahen Stadt Rouen stationierte Spezialeinheit der Polizei das Gebäude umstellt hatte. So schilderte es am Dienstagabend der Pariser Staatsanwalt François Molins, der die Ermittlungen an sich zog.

Bei den Attentätern handelt es sich um "zwei Terroristen, die sich auf Daesch berufen", also auf den sogenannten Islamischen Staat (IS), sagte Frankreichs Präsident François Hollande, als er kurz nach der Tat den Anschlagsort besuchte. Die IS-Propagandaagentur Amaq erklärte, die beiden Männer seien "Soldaten" der Terrororganisation; sie seien dem Aufruf gefolgt, Länder wie Frankreich zu bekämpfen, die militärisch gegen den IS in Syrien und im Irak vorgehen. Zeugen berichten, einer der Männer habe während der Attacke auf die Kirche die arabische Gebetsformel "Allahu Akbar" gerufen - übersetzt etwa: "Allah ist am größten". Dem Staatsanwalt zufolge war einer der Täter der Polizei als Islamist bekannt. Der 19-Jährige sei in der Nähe von Saint-Étienne-du-Rouvray geboren worden und aufgewachsen.

Die beiden Arabisch sprechenden Täter haben sich bei der Tat gefilmt, berichtet eine Zeugin

2015 wurde er demnach in Frankreich wegen Terrorverdachts in Haft genommen. Er habe versucht, sich dem bewaffneten Kampf der religiösen Fanatiker im IS-Gebiet anzuschließen. Bei einem ersten Versuch, nach Syrien zu reisen, wurde er von den deutschen Behörden gestoppt und nach Frankreich zurückgeschickt. Beim zweiten Versuch reiste er über Genf in die Türkei und wurde von den türkischen Sicherheitskräften abgefangen. Seit März dieses Jahres wurde er mit einer elektronischen Fußfessel überwacht. Er musste seinen Personalausweis abgeben und durfte das Departement nicht verlassen.

Die Identität des zweiten Täters wurde von der Staatsanwaltschaft noch ermittelt. Die Angreifer trugen nach Angaben Molins Sprengstoffattrappen, Messer und eine Pistole bei sich. Nach dem Anschlag wurde zudem ein Minderjähriger in Polizeigewahrsam genommen. Der in Algerien geborene 16-Jährige sei der jüngere Bruder eines Mannes, der mit internationalem Haftbefehl gesucht werde und 2015 ebenfalls nach Syrien oder in den Irak wollte. Die Ermittler führten Durchsuchungen durch, die am Abend noch andauerten.

Das Todesopfer ist nach Angaben des Erzbistums Rouen der 86 Jahre alte Jacques Hamel, ein Pfarrer im Ruhestand, der am Dienstag nur aushilfsweise die Messe las. Zeugen berichten, die beiden Angreifer hätten sich sofort den Pfarrer als erstes Opfer gesucht. "Sie haben ihn auf die Knie gezwungen und sich bei ihrer Tat gefilmt", berichtete eine Ordensschwester, die während des Überfalls in der Kirche war, dann aber fliehen konnte. "Sie haben arabisch gesprochen. Als Pater Jacques anfing, sich zu wehren, haben sie ihm die Kehle durchgeschnitten."

Der Erzbischof von Rouen zeigte sich "sehr schockiert" und brach seinen Aufenthalt beim katholischen Weltjugendtag in Krakau ab, um noch am Dienstagabend mit Hollande in Paris zusammenzutreffen. An diesem Mittwoch will Präsident Hollande zudem die Vertreter aller in Frankreich vertretenen Religionen versammeln.

Hollande versucht, neuer Kritik zuvorzukommen - und ruft die Franzosen zur Einheit auf

Die mutmaßliche Panne bei der Überwachung eines als gefährlich bekannten Attentäters ist politisch hoch brisant für ihn und seine Regierung. Nach dem Anschlag von Nizza, bei dem am 14. Juli 84 Menschen ums Leben kamen, stehen sie noch stärker unter Druck als nach den zwei islamistischen Massakern von Paris im vergangenen Jahr. Die Opposition aus Konservativen und Rechtsextremen wirft Hollande Versagen bei der Terrorbekämpfung und mit Bezug auf das Nizza-Attentat auch die Vertuschung von Fehlern vor.

Hollande zeigte kaum eineinhalb Stunden nach dem Anschlag in der Normandie Präsenz. Er traf überlebende Geiseln, Angehörige des ermordeten Priesters - und versuchte, neuer Kritik zuvorzukommen: Der schnellen Intervention der Polizei-Spezialkräfte sei es zu verdanken, dass es in der Kirche nicht noch mehr Todesopfer gegeben habe.

Erneut rief Hollande die Nation auf, sich nicht spalten zu lassen. "Französinnen, Franzosen, stehen wir zusammen. So werden wir den Krieg gegen den Hass und den Fanatismus gewinnen." Politische Beobachter erwarten nun Bereitschaft zu neuen Zugeständnissen an die Opposition im Sinne schärferer Terrorbekämpfung.

© SZ vom 27.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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