Telefondaten:Tiefe Einblicke

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Abzocker nutzen die Unerfahrenheit von Flüchtlingen aus. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Die Bundesregierung will es Behörden erlauben, Handys von Flüchtlingen auszulesen. Doch die Maßnahme ist umstritten: Was passiert mit den Daten?

Von Lena Kampf und Georg Mascolo, München

Kurz nach den Anschlägen von Ansbach und Würzburg trat Innenminister Thomas de Maizière vor die Presse und verkündete ein umfangreiches Sicherheitspaket. Unter den Maßnahmen befand sich auch eine, die kaum Beachtung fand: In einem "Pilotverfahren", so de Maizière, wolle man künftig "anlassbezogen" Social-Media-Accounts von Flüchtlingen untersuchen. Es sollte um "einschlägige Kontakte und Vorprägungen" gehen.

Von dem Pilotverfahren hat man nach der Ankündigung nicht mehr viel gehört, stattdessen wird nun über einen weitergehenden Vorschlag debattiert. Die Bundesregierung will im Eilverfahren die gesetzliche Ermächtigung schaffen, die Mobiltelefone und andere Datenträger von Flüchtlingen auszulesen, um ihre Identität zu überprüfen. Nicht nur öffentliche Accounts, sondern auch Bilder, Kontaktdaten, Telefonlisten, gespeicherte Aufenthaltsorte, Nachrichten. Seit der Vorschlag öffentlich wurde, streiten Gegner und Befürworter heftig um das Vorhaben: Wenn jemand ohne Papiere ins Land komme, brauche man diese Möglichkeit zur Identitätsfeststellung, heißt es. Wer hier bleiben wolle, habe daran mitzuwirken. "Rechtsstaatlich absolut vertretbar", sagt Kanzleramtsminister Peter Altmaier.

Ein Smartphone ist unverzichtbar für einen Menschen, der seine Heimat verlassen will

Ein Blick ins Handy, noch dazu ohne richterlichen Beschluss, sei ein grober Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien, sagen die Gegner. Handys seien schließlich auskunftsreicher als ein Tagebuch. Man solle nicht in Technik investieren, sondern in die Qualifizierung von Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf). An diesem Freitag wird die Debatte im Bundesrat fortgesetzt.

Ein Smartphone ist unverzichtbar für einen Menschen, der sein Heimatland verlassen muss. Nun haben auch die Behörden beschlossen, diesen Umstand auszunutzen. Auf die Idee sind freilich nicht allein die Deutschen gekommen. In den Niederlanden, Dänemark und Schweden ist dies bereits üblich. In Dänemark nahmen die Behörden 55 unbegleiteten Minderjährigen ihre Telefone ab, teilweise mussten sie bis zu einem Monat warten, bis sie diese zurückbekamen. Noch weiter gehen die Amerikaner und Kanadier, die auch von normalen Reisenden schon einmal Passwörter verlangen. Noch sind die Zahlen, etwa in den USA, gering, aber sie steigen stark: 2015 waren es 4 764 sogenannte "electronic media searches", 2016 waren es schon 23 877. Zu vermuten ist, dass die Kurve unter Präsident Donald Trump weiter ansteigen wird.

Das Vorgehen in den USA und Kanada wird von deutschen Innenpolitikern als hysterisch kritisiert. Tatsächlich aber gibt es zumindest eine gewisse Ähnlichkeit in den Begründungen für solche Maßnahmen: Das Ministerium sagt, man müsse wissen, wer hier dauerhaft Schutz und Hilfe beansprucht. Die USA argumentieren, man müsse überprüfen dürfen, wer da ins Land will. Muss man also damit rechnen, dass auch andernorts bei der Einreise der Blick ins Handy künftig zum normalen Risiko des Grenzübertritts gehört?

Auslesegeräte saugen die Daten ab und zeigen dann auf dem Bildschirm die Fluchtroute an

Nach Vorstellung des Innenministers jedenfalls sollen schon bald alle 82 Stellen des Bamf mit Auslesegeräten ausgestattet werden. Im 20-Minuten-Takt sollen dort die auf Mobiltelefonen, Tablets oder Computern gespeicherten Daten abgesaugt werden. Der Entwurf sieht vor, dass schon wenig später die aus den Handys gewonnen Informationen bei den Asylentscheidern auf einer Karte visualisiert werden. Ganz automatisch soll so die Route des Antragstellers vom Herkunftsland nach Deutschland auf dem Bildschirm erscheinen. Was hochmodern klingt, ist teuer und aufwendig, schließlich müssen die gewonnenen Informationen in den meisten Fällen übersetzt werden. Gleichzeitig soll der Prozess die Asylverfahren nicht in die Länge ziehen. Asylverfahren, das ist die Devise, sollen schneller und effizienter werden.

So zeichnet es sich bereits als unwahrscheinlich ab, dass die von den grünen Justizministern vorgeschlagenen Schutzhürden für private Daten am Ende ihren Weg in die Stellungnahme des Bundesrats oder gar in das Gesetz finden. Sie wollen, dass zumindest nach dem Auslesen der Datenträger beim Bamf ein Gericht darüber entscheidet, welche der gewonnenen Daten überhaupt dafür verwertet werden können, um die Herkunft eines Flüchtlings festzustellen. Der "Kernbereich privater Lebensgestaltung" dürfe nicht berührt werden, so die Empfehlung im Rechtsausschuss. Die Grünen berufen sich auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Es dürfe nicht sein, dass die große Koalition den Grundrechtsschutz für zu strapaziös halte und ihn einfach weglasse, heißt es. In den grünen Justizressorts wundert man sich insbesondere über das Tempo, mit dem der Entwurf verhandelt werden soll. Statt der sechswöchigen Beratungszeit sei lediglich drei Tage Zeit gewesen zur Prüfung und Stellungnahme. Es entstehe der Eindruck, dass hier niemand so genau drauf schauen soll.

Was mit den ausgelesenen Daten beim Bamf passiert, weiß auch das Ministerium bisher nicht. Laut Gesetzentwurf sollen sie in die elektronische Akte MARIS eingepflegt werden - doch weil gleichzeitig auch die Regelungen zur Weitergabe von Daten des Bamf an andere Behörden ausgeweitet werden, drängt sich die Frage auf, wer dann auf den Inhalt der Handys Zugriff haben wird. Die Polizei? Der Verfassungsschutz? Das werde momentan geprüft, sagt eine Sprecherin des Ministeriums. Festzustehen scheint zumindest, wie man mit Flüchtlingen umgeht, die sich weigern, ihr Telefon herauszurücken. Das würde zu "kritischen Nachfragen" führen, steht in einer Veröffentlichung des Ministeriums. Zur Not würde man ihn mit Hilfe der Polizei zwingen: Eine "fehlende Mitwirkungsbereitschaft kann sich negativ auf die Asylentscheidung auswirken".

© SZ vom 10.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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