Teilung des Westjordanlandes:Mit Beton Fakten schaffen

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Regierungschef Scharon versucht, Israel mit dem Sperrwall einen möglichst großen Teil des Westjordanlandes zuzuschlagen.

Von Thorsten Schmitz

Der Sperrzaun, der sich bereits auf einer Länge von rund 200 Kilometern durch das Westjordanland zieht, hat keinen universellen Namen. Die Palästinenser bezeichnen ihn als "Berliner Mauer", das israelische Außenministerium hat - mit Blick auf das Verfahren in Den Haag - die PR-Wortschöpfung "Anti-Terror-Zaun" ersonnen.

Israels Sperranlage (Zur Gesamtansich: Auf die Lupe klicken) (Foto: Grafik: SZ. Quellen: AP, isr. Verteidigungsministerium, B'tselem)

Die 3,4 Milliarden Dollar teure Anlage, die Israel nach offiziellen Angaben vor palästinensischen Selbstmordattentätern schützen soll, ist nicht nur ein Zaun, sondern auf bislang acht Kilometern auch eine Mauer.

Im Westen der palästinensischen Autonomiestadt Kalkilia etwa befindet sich eine drei Kilometer lange, durchgängig acht Meter hohe, graue Betonwand, in Abu Dis verläuft die Mauer sogar mitten durch den Jerusalemer Vorort, in dem die palästinensische Autonomiebehörde ein Gebäude errichtet hat, in dem künftig das Parlament tagen soll.

Ansonsten ist die Anlage etwa 70 Meter breit, inklusive der geteerten Straßen auf beiden Seiten, auf denen Militärfahrzeuge patrouillieren. Am Zaun selbst sind Bewegungsmelder installiert, Infrarotkameras sowie Maschendraht. An manchen Stellen wurden Tore eingefügt, damit palästinensische Schulkinder zum Unterricht auf der anderen Seite des Zauns und palästinensische Farmer auf ihre Felder gelangen.

Bauern mussten auf ihren Feldern übernachten

Wann und ob die Tore geöffnet werden, entscheiden israelische Soldaten. Häufig ist es schon vorgekommen, dass Bauern auf ihren Feldern übernachten mussten, weil die Soldaten nicht erschienen waren, um ihnen die Tore aufzumachen. Der Sperrwall soll Israelis und Palästinenser voneinander trennen, oft aber trennt er auch Palästinenser von Palästinensern.

Den Bau der Sperranlage rechtfertigt Israel mit dem "Terror der Palästinenser". Der Wall ist das kostspieligste Bauprojekt in der Geschichte Israels. Ende 2005, wenn laut Friedensfahrplan eigentlich ein Palästinenserstaat ausgerufen werden sollte, wird der Zaun das Westjordanland auf einer Länge von rund 650 Kilometern von Israel trennen. Verliefe der Zaun entlang der Grünen Linie, der Waffenstillstandsgrenze von 1949, wäre er nur 370 Kilometer lang.

Eine Idee der linken Arbeiterpartei

Die Idee, den Wall zu errichten, stammt nicht von Regierungschef Ariel Scharon, der eine Festlegung auf künftige Grenzen scheute, sondern von der linken Arbeitspartei. Doch weil Scharon nicht daran glaubt, in absehbarer Zeit eine einvernehmliche Lösung mit den Palästinensern zu finden, hat er sich nun doch zum Bau entschlossen.

Während die Linken den Zaun entlang der Grenze zum Westjordanland verlaufen lassen wollten, um die Autonomiegebiete in einem lebensfähigen Raum von Israel abzugrenzen, versucht Scharon, mit dem Zaun soviel Westjordanland wie möglich Israel zuzuschlagen - also Fakten zu schaffen mit Beton und Stacheldraht.

Scharon verfolgt damit zwei Ziele: Zum einen bleiben den Palästinensern somit nur verstreute Gebiete, die wie Inseln voneinander abgeschnitten sind und aus denen sich später kaum mehr ein zusammenhängender Staat formen lässt. Zum anderen bannt Scharon eine demografische Gefahr.

Denn ab 2010 bereits, sagen Prognosen, werden im heutigen "Groß-Israel", das neben dem Kernland des Staates Israel auch die besetzten Gebiete Westjordanland und Gaza umfasst, aufgrund der höheren Geburtenrate der Muslime die Juden in der Minderheit sein.

Derzeit leben im Kernland Israels fünf Millionen Juden neben einer Million israelischen Arabern. Im Westjordanland und in Gaza sind es insgesamt drei Millionen Palästinenser neben knapp 250.000 jüdische Siedlern.

Um zu vermeiden, dass in diesem Gebilde schon in wenigen Jahren eine jüdische Minderheit eine muslimische Mehrheit regiert, will Scharon mit Hilfe des Walls die Palästinenser abtrennen.

In diesem Zusammenhang ist auch der von Scharon angekündigte Rückzug jüdischer Siedler aus dem Gaza-Streifen zu sehen. In den Statistiken würde der Gaza-Streifen mit seinen 1,3 Millionen Palästinensern fortan nicht mehr als zu Israel gehörig gerechnet, womit sich die Mehrheitsverhältnisse zugunsten Israels verschöben.

So viel Land wie möglich für Israel gewinnen

Der Verlauf der Sperranlage im Westjordanland hat zum Ziel, so viele Siedlungen und so viel Land wie möglich für Israel zu gewinnen. Lediglich drei Siedlungen im Norden des Westjordanlandes sollen aufgegeben werden - und ohnehin sollen diejenigen jüdischen Israelis, die vielleicht eines Tages den Gaza-Streifen räumen, auch ins Westjordanland umziehen dürfen.

Mit der Ankündigung, Siedlungen im Gaza-Streifen zu räumen, versucht Scharon auch, sich mit den USA gut zu stellen. Präsident George W. Bush hätte gerne, um die Chance für seine Wiederwahl zu erhöhen, auch gute Nachrichten aus Nahost.

Scharons Äußerungen zur Siedlungspolitik freilich sind seit jeher mit Vorsicht zu genießen. Vorigen Dienstag erst stimmten die Abgeordneten seines Likud-Blocks dafür, weitere 20 Millionen Dollar in den Ausbau jüdischer Ortschaften im Westjordanland zu stecken.

© SZ vom 23.2.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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