SZ vom 16.12.2000:Im Bauch der Schmuddelstadt

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Vom Döner-Mann zum Start-up-Unternehmer: Die Firmengründer der zweiten Einwanderergeneration helfen, Offenbach vor dem Niedergang zu retten

Cathrin Kahlweit

Stilianos Konstantinidis könnte in diesem Moment auch in einem eleganten, klimatisierten Büro sitzen und gemeinsam mit hippen, jungen Menschen Computerprogramme schreiben. Womöglich würde eine kleine, florierende Aktiengesellschaft am Neuen Markt daraus? Schließlich hat der 32-jährige Informatiker ein Diplom der TH Darmstadt in der Tasche. "Zu langweilig", sagt er. "Das habe ich ein halbes Jahr lang ausprobiert, aber was soll ich zehn Stunden am Tag sieben Tage die Woche vor einem Bildschirm?" Stattdessen steht der junge Grieche in einem langen, dunklen Laden und probt die türkisch-griechische Freundschaft. Sein engster Mitarbeiter ist ein Türke mit wildem Vollbart: "Ich wage nicht, mich nass zu rasieren", sagt der grinsend; "in Gegenwart von Griechen muss man mit Messern vorsichtig sein. "

Seinen Spezialitätenladen am Offenbacher Wochenmarkt mit der vagen Aufschrift "Frische Fische aus dem Mittelmeer" hat der junge Grieche vom Vater übernommen. Der kommt aus alter Freundschaft zum Geschäft noch manchmal und hilft an der Kasse aus. Der Sohn präsentiert nicht ohne Stolz das Sortiment: spanische, italienische, arabische Süßigkeiten, Dutzende Sorten Nudeln und Reis, arabische Gewürze und diverse Öle aus aller Welt, asiatische Zutaten, seltene Käsesorten, 20 Arten Scampi in der Tiefkühltruhe.

Ganz hinten im tunnelartigen Gewölbe die Hauptattraktion: eine Fischtheke. Zwei Tonnen Frischfisch importiert der Kaufmann wöchentlich aus Italien und aus Amsterdam. In der Schlange vor der Kasse warten eine Asiatin, die akzentfrei Deutsch spricht, ein altes, italienisches Ehepaar mit einer riesigen Plastiktüte frischer Sardinen und eine deutsche Mutter mit Kleinkind. Stilianos Konstantinidis unterhält die Kundschaft mit flotten Sprüchen in bestem Hessisch und sehnt sich nur dann an seinen PC zurück, wenn der Wecker um vier Uhr morgens klingelt, weil der Großmarkt ruft.

"Auf geht's, Offenbach"

Konstantinidis steht für die neue Generation junger ausländischer Unternehmer in Deutschland: Einen deutschen Pass will er nicht - "warum auch?", fragt er. Er hat Abitur gemacht und studiert, und er ist voll integriert in seine deutsche Heimatstadt, in der sich seine Eltern vor 30 Jahren als Gastarbeiter in Deutschland niedergelassen haben.

Rund 250 000 selbständige Unternehmer mit ausländischem Pass haben eine Firma in Deutschland, was immerhin einem Anteil von 8,7 Prozent aller Betriebe entspricht. Vor allem die zweite und dritte Generation ist es, die sich selbständig macht, die Existenzgründungen und Start-up-Unternehmen vorantreibt, inzwischen zum neuen Mittelstand gehört oder diesen bald schon bilden wird. Manches einstige Glasscherbenviertel wird durch diesen neuen, ausländischen Mittelstand derzeit aufgewertet. Die Eltern kamen in den sechziger Jahren meist noch als ungelernte Arbeiter und ohne Deutschkenntnisse in die Bundesrepublik. Ihre Kinder haben das deutsche Schulsystem absolviert, eine Lehre gemacht oder studiert. Eine Stadt wie Offenbach bei Frankfurt, die mit 30 Prozent einen der höchsten Ausländeranteile der Bundesrepublik aufweist und über Jahrzehnte gegen ihr Image als multikulturelle Schmuddelstadt voller Asylsuchender, Kriegsflüchtlinge und ausländischer Sozialhilfeempfänger kämpfen musste, profitiert von der Entwicklung.

Einst das Armenhaus Hessens, hat die Stadt unter ihrem Oberbürgermeister Gerhard Grandke (SPD) einen ungeahnten Aufschwung genommen. Mit einer forcierten Verwaltungsmodernisierung, kurzen Genehmigungsfristen, neuen Jobs im Backoffice-Bereich von Dienstleistern, Industrieansiedlungen und vor allem einem aufgemotzten Image hat sich Offenbach einen Ruf als Boom-Town erworben. Fast 14 000 neue Arbeitsplätze seit 1992 und ein ausgeglichener Haushalt werden als Beweis für den Erfolg des Wirtschaftswunders gepriesen.

An dem haben ausländische Arbeitgeber einen nicht unmaßgeblichen Anteil. Zum einen gehören ausländische Firmen zu den größten Arbeitgebern und Gewerbesteuerzahlern der Stadt: Honda aus Japan, Rowenta aus Frankreich, Scania aus Schweden beschäftigen Deutsche und Nicht-Deutsche gleichermaßen. Parallel dazu wächst die Investitionsbereitschaft von Ausländern, die in Offenbach leben. Italiener und Türken, die in ihrer zweiten Heimat zu Wohlstand gekommen sind, kaufen Liegenschaften in der Innenstadt und siedeln aus den Seitenstraßen mit ihren Dönerständen und Asia-Basaren in die Fußgängerzone rund um die Frankfurter Straße über. Neben der Gastronomie (der Anteil ausländischer Gastwirte ist mit 60 Prozent doppelt so hoch wie der Anteil ausländischer Bürger an der Gesamtbevölkerung) ist es zunehmend auch das Baugewerbe, in dem die Zahl ausländischer Firmengründer steigt.

Die größte türkische Warenhaus-Kette Deutschlands, Yimpas, lenkt aus ihrer Zentrale in der Innenstadt ein Imperium von zwölf Kaufhäusern und einem Hotel; weitere 50 Standorte in ganz Europa sind geplant. Yimpas hat 420 Angestellte und ein Sortiment, das sich in großen Teilen nicht von dem seiner Lieferanten Rewe oder Kaufring unterscheidet. Aber: Neben deutschen sind eben auch türkische Waren im Angebot. Und Yimpas bietet seinen Kunden Fleisch von einem türkischen Großhändler an, der die Tiere schächtet. Bei einem deutschen Metzger würden viele Türken ihr Schaschlik gar nicht erst kaufen.

In Stadt und Landkreis Offenbach haben sich schätzungsweise 900 ausländische Unternehmer angesiedelt; fast 40 Prozent von ihnen sind Türken. Wie viele Firmen es tatsächlich sind, weiß keiner so genau - bei der Stadt, aber auch bei der Industrie- und Handelskammer werden die Statistiken ohne Verweis auf die Nationalität ihrer Besitzer geführt. "Das wäre unnötig", sagt IHK-Präsident Ingo Mayer. "Letztlich macht es keinen Unterschied, welchen Pass ein Unternehmer hat. " Das Investitionsklima in der Stadt ist gut; nach Schätzungen der IHK liegt die Zahl der ausländischen Existenzgründer sogar noch vor jener der Deutschen. Klagen von nicht-deutscher Seite gibt es höchstens darüber, dass Banken bei der Kreditvergabe an ausländische Existenzgründer vorsichtiger seien als bei der Bewilligung von Darlehen an die deutsche Konkurrenz. Umgekehrt kritisieren IHK und Handwerkskammer, dass ausländische Arbeitgeber leider weniger Ausbildungsplätze anböten als deutsche Firmen. Wer keine deutsche Meisterprüfung vorweisen kann (was für viele ausländische Handwerker vor allem der ersten Generation gilt) oder keinen Meister angestellt hat, muss einem Ausbildungsverbund beitreten oder eine Ausbilder-Eignungsprüfung machen.

Die IHK hatte sich vom deutsch-türkischen Unternehmerverband rund 500 Adressen geben lassen, bei denen man um die Teilnahme am Kurs und die spätere Aufnahme eines Azubis warb. "Der Erfolg war leider homöopathisch dosiert", sagt IHK-Präsident Ingo Mayer. Jetzt will man einen maßgeschneiderten Lehrgang vor allem für türkische Arbeitgeber mit einer türkischen Dozentin anbieten. "Bei ausländischen Arbeitgebern hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass man in Humankapital investieren muss", sagt Mayer.

Die Stadt will die Ausbildungsquote ebenfalls heben. Jugendliche, die eine Lehrstelle suchen, wurden in jene Stadtbezirke geschickt, in denen der ausländische Mittelstand sich niedergelassen hat, und putzten Klinken. Lehrer begleiteten das Projekt, Mentoren berieten die Schüler.

Und weil ausländische Jugendliche häufiger arbeitslos sind als deutsche, hat Offenbach die Kampagne "Auf geht's" auch mit Blick auf diese Klientel gestartet. Unternehmungslustige, aber bislang glücklose Berufsanfänger bewerben sich für ein Gründerzentrum, bekommen Beratung bei der Planung und Ausführung ihrer Geschäftsidee; eine Werbeagentur begleitet das Projekt, eine Bank schießt Geld zur Unternehmensgründung hinzu. "Auf diese Weise hat sich zum Beispiel eine junge Frau, die in einem Dönerstand gearbeitet hat, als Zahntechnikerin selbständig gemacht", berichtet Gerhard Grandke.

Kleine, feine Erfolgsgeschichten

Antonio Fonseca will demnächst auch seinen ersten Azubi anlernen. Fonseca ist Portugiese; vor 14 Jahren kam er nach Deutschland. Das Volkswirtschaftsstudium brach er ab, weil ein Kind kam, das ernährt werden musste. Und weil Computer gerade in Mode kamen, kaufte er sich einen für das Wohnzimmer. Der Rest ist eine kleine, aber feine Erfolgsgeschichte, wie auch sie typisch ist für den neuen ausländischen Mittelstand, der sich so gar nicht mehr ausländisch fühlt: Fonseca brachte sich die Grundkenntnisse am PC selbst bei. Heute entwickelt er mit seiner Firma Software, richtet Homepages ein, hat einen festen Kundenstamm und einen Mitarbeiter. Sein Umsatz hat sich seit Gründung der Firma Jahr für Jahr verdoppelt. Er sitzt für die SPD in der Stadtverordnetenversammlung, hat eine deutsche Frau geheiratet, sein Sohn wächst zweisprachig auf. Dass er selbst kein Deutscher ist, spürt er eigentlich nur dann, wenn er sich im Sozial- und Wohlfahrtsausschuss besonders für Ausländer und Minderheiten einsetzt - sozusagen aus alter Verbundenheit.

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