SZ-Leitartikel:Der Präsident, der Mut, der Krieg

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Heribert Prantl

(SZ vom 18.9.2001) - Solidarität heißt nicht bedingungslose Gefolgschaft, sondern Beistand. Verantwortung heißt nicht "Ja und Amen", sondern überlegtes Handeln.

Bündnistreue heißt nicht: "In Deutschland wird nicht mehr diskutiert". Bündnistreue fordert auch nicht, dass alle Parteien wie ein Mann hinter jedweden militärischen Aktionen stehen müssen; Geschlossenheit ist ein Kennzeichen soldatischer Formationen, nicht einer demokratischen Gesellschaft.

Diese ist sich einig im Ziel, gewalttätigen Radikalismus und Terrorismus zu bekämpfen. Über die Mittel und Wege muss sie klug entscheiden. Und Klugheit entsteht durch politische Auseinandersetzung.

Diese demokratische Grundregel wird auch durch einen Bündnisbeschluss nicht außer Kraft gesetzt. Wer wissen will, wozu er Ja sagt, bevor er Ja sagt, ist kein Anti-Amerikaner. Wer vor Krieg warnt, weil er unabsehbare Folgen und neues Leid fürchtet, der ist kein Ignorant.

Ein Ignorant wäre vielmehr der, der so tut, als sei die Warnung vor Krieg schon ein Schutzwall für Mörder, Attentäter und ihre Helfershelfer. Sie müssen gefasst, sie müssen abgeurteilt und ihre verbrecherische Logistik muss, am besten ein für allemal, zerstört werden. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Wie ist zu bewerkstelligen, dass der Boden für gewalttätigen Islamismus nicht immer wieder neu gedüngt wird?

Das alles sind Selbstverständlichkeiten. Aber das Selbstverständliche ist nicht selbstverständlich in diesen Tagen, in denen einige so tun, als sei der Krieg nicht nur der Vater aller Dinge, sondern auch die Mutter aller Lösungen.

Der Bundespräsident hat, in seiner großen Rede bei der Kundgebung in Berlin und im Interview des Deutschlandfunks, solche Selbstverständlichkeiten gesagt, nämlich: an die Menschen denken, über die unendliches Leid gekommen ist. Die Täter und jene, die sich mit ihnen gemein machen, suchen, finden, vor Gericht stellen.

Johannes Rau hat das Wort vom Angriff der Terroristen "auf die Zivilisation" aufgegriffen und fortgeführt: "und darum müssen wir mit zivilen Mitteln reagieren" - auch wenn militärisches Handeln nicht in jedem Fall ausgeschlossen werden könne.

Der Bundespräsident hat sich damit zur Stimme derer gemacht, die sich in der großen Berliner Koalition der "unbedingten Solidarität" nicht wiederfinden. Er hat dabei Sätze gefunden, denen wohl viele der Menschen zustimmen können, die irritiert davon sind, dass ihre Ängste von wichtigen Politikern auf einmal als Larmoyanz und Drückebergerei gewertet werden.

Wer auf eine Begrenzung militärischer Optionen drängt, zieht sich nicht "ins Hinterzimmer der Gemütlichkeit" zurück, wie Angela Merkel meint. Er erschrickt freilich vor Äußerungen wie der des stellvertretenden US-Außenministers Paul Wolfowitz, der angekündigt hat, der amerikanische Feldzug ziele auf ein "ending states" - auf die Auslöschung von bestimmten Staaten also.

Der Dank an Amerika, zu dem die Deutschen wirklich allen Grund haben, verpflichtet nicht dazu, die Bestürzung, die man bei einem solchen Satz empfindet, wegzuschieben.

"Mut" hat der Bundeskanzler verlangt. Sorgfältige Prüfung aller Optionen, besonnenes Abwägen der Möglichkeiten und der Folgen von "Feldzügen" erfordern freilich mehr Mut als aktionistisches Losschlagen.

Die USA haben bisher diesen Mut gehabt. Die deutsche Politik sollte ihn auch haben. Es war schon immer politisch klug, sich an den Satz im Buch Sirach im Alten Testament zu halten: "...et respice finem" - und bedenke das Ende. Das gilt auch und gerade nach dem apokalyptischen Anschlag von New York.

Die militärische Option darf man nicht ausschließen. Nur - sie ist das allerletzte Mittel. Krieg, und sei er noch so "chirurgisch" präzise gegen Terroristen und ihre Schlupfwinkel geplant, trifft immer auch Unschuldige. Gerade die militärischen Vergeltungsschläge der USA auf die Attentate der vergangenen Jahre sind Beispiele dafür.

Der Terror gegen Einrichtungen der USA eskaliert seit vielen Jahren. Nach dem Terror-Anschlag von Lockerbie gab es, freilich viel zu spät, einen - vielleicht letzten? - Versuch, das Großverbrechen mit den klassischen Mitteln des Strafrechts zu ahnden. Anfang Februar dieses Jahres, nach dem Lockerbie-Urteil, war allenthalben emphatisch davon die Rede, dass nun ein Prozess der "Zivilisierung und Verrechtlichung der Weltpolitik" beginne.

Soll diese Entwicklung nun abbrechen? Freilich: Lediglich über die Täter von Lockerbie saß die internationale Justiz zu Gericht, über ihre Hintermänner nicht. So lange das so bleibt, muss man mit dem Strafrecht unzufrieden sein.

Es ist offensichtlich bei Verbrechen dieser Dimension kein wirksames Mittel der Repression, kein wirksames Mittel der Prävention und kein wirksames Mittel zur Befriedung.

Wer aber glaubt daran, dass Krieg diese Defizite füllen kann? Wie immer man ihn begründet, ob als neue Form des Strafens oder als Aktion des Notstands: Immer muss die Reaktion maßvoll bleiben. Doch dem Krieg wohnt Maßlosigkeit inne.

Bundespräsident Johannes Rau war mutig, dies in den Tagen zu sagen, in denen solche Selbstverständlichkeiten als suspekt gelten.

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