SZ-Korrespondenten berichten:"In fast rauschhaftem Zustand"

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Ob in Paris, Peking, Stockholm oder Tel Aviv - rund um die Welt reagieren die Menschen emotional auf die Wahl von Obama zum nächsten US-Präsidenten. Korrespondenten der SZ schildern ihre Eindrücke.

Gerd Kröncke berichtet aus Frankreich

In Harry's Bar in Paris jubelt die große Mehrheit der Gäste über das Ergebnis (Foto: Foto: AFP)

Es war, überall ein bisschen, eine amerikanische Nacht in Paris. Harry's New York Bar im 2. Arrondissement zum Beispiel ist gewissermaßen amerikanisches Territorium.

Hier jubelte in der Nacht die Mehrheit, denn unter den Klienten der Bar lag Barack Obama von Anfang an vorn. Seit Jahrzehnten findet unter den amerikanischen Gästen eine Art Probeabstimmung statt, die einen Monat vor der Wahl beginnt, und nur zweimal lagen die Gäste falsch. Das letzte Mal freilich vor vier Jahren, als John Kerry vorne lag.

Dieser Ausrutscher ist nun korrigiert. Als das Ergebnis sich abzuzeichnen begann, mitten in der Nacht, so gegen drei, hörte man die ersten Hupkonzerte auf den Champs Élysées.

Nicht ohrenbetäubend, aber auch nicht schüchtern. Einige waren aus dem Cineaqua am Trocadero gekommen, wo eine Gala-Soiree für 800 zahlende Gäste stattgefunden hatte. Überrascht war niemand mehr.

Schon gar nicht die Jungen in der Vorstadt. In der Pariser Banlieue ist Barack Obama schon seit Monaten der Held, allgegenwärtig in den Hoffnungen der jungen Immigranten. Es war, als würde einer der Ihren zum Präsidenten gewählt.

In einer Tennishalle in Hayles-Roses feierten und jubelten mehr als tausend dunkelhäutige Franzosen und alle fühlten sich in dieser Nacht als Sieger. Viele hoffen, dass es eines Tages auch einen schwarzen französischen Präsidenten geben könnte. Das Obama-T-Shirt wurde schon verkauft. "Barack 2008. Yes, we can."

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Michael Frank berichtet aus Österreich

Hotdogs in gehobenem Ambiente: Wahlparty zur US-Wahl im Wiener Radisson-Hotel (Foto: Foto: AFP)

Obwohl der Scherz seit der amerikanischen Wahlnacht allzu oft gemacht wird, weiß Josef Pröll darüber den noch jedes Mal fröhlich zu lachen: Obamas Triumph beweise, dass ein Schwarzer auch siegen könne.

Pröll ist Chef der christsozialen Volkspartei, der "Schwarzen" also in Österreichs politischer Farbenlehre, die gerade eine bittere Wahlschlappe haben einstecken müssen.

Alle in Wien sind froh über diesen Sieger. Sogar die latent rassistischen Parteien der radikalen Rechten haben gegen den schwarzen Präsidenten in Washington nichts einzuwenden.

Die transatlantischen Ereignisse haben die Nation so fasziniert, dass sogar die heiklen und schwierigen Koalitionsverhandlungen zu Hause nachrichtlich für Tage in den Hin-tergrund geraten.

Schwarzenegger gönnt man die Niederlage

Denn auch Österreich lebt gerade in der Zwischenphase nach Wahlen und vor der Regierungsbildung. Sogar die Befreiung zweier österreichischer Terroristengeiseln aus der margrebinischen Wüste, wo man sie acht Monate herumgeschleppt hatte, verblasst zum Nebenereignis.

Und auch Arnold Schwarzenegger, dem sonst so frenetisch gefeierten Pracht-Österreicher in Kalifornien, gönnt man die Niederlage seiner Republikaner.

Der Gouverneur hatte im Wahlkampf behauptet, er habe nach Amerika gehen müssen, um den sozialistischen Umtrieben in Europa zu entgehen, die Obama nun auch in den USA einzuführen wünsche.

Zwei konkrete Hoffnungen werden wohl eitel bleiben: Dass Obama die Wiederbelebung der in Österreich verhassten Atomkraft stoppen und von dem als Bedrohung empfundenen Raketenabwehrsystem in unmittelbarer Nachbarschaft ablassen möge.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie die Briten auf Obamas Wahlsieg reagierten.

Wolfgang Koydl berichtet aus Großbritannien

Präsidenten und Premierminister verschiedener Parteien mögen kommen und gehen, aber eine Tatsache bleibt für Großbritannien unverändert: die special relationship, das besondere Verhältnis, das London und Washington miteinander verbindet.

Der Sieg von Barack Obama wird diese Beziehung vermutlich festigen - und zwar unabhängig davon, ob Premierminister Gordon Brown im Amt bleibt, oder ob der konservative Oppositionsführer David Cameron die nächste Unterhauswahl gewinnt: Beide Politiker haben den neuen US-Präsidenten getroffen, und beide haben keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihn John McCain vorziehen.

Für Brown freilich hat die Wahl Obamas einen innenpolitischen Nachteil. Er wollte seinen Gegenspieler Cameron im nächsten Wahlkampf eigentlich als einen unerfahrenen Grünschnabel darstellen, dem man in krisenhaften Zeiten nicht die Staatsgeschäfte überlassen dürfe.

Nun, da die Amerikaner einen noch weniger erfahrenen Mann als Cameron zu ihrem Präsidenten gewählt haben, dürfte dieses Argument noch weniger ziehen.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie die Reaktionen in Israel ausfielen - und was Ehud Olmert über den scheidenden Präsidenten Bush zu sagen hatte.

Thorsten Schmitz berichtet aus Israel

Die Korrespondenten der israelischen Radiostationen und Fernsehsender konnten ihre Freude über das US-Wahlergebnis am Mittwochmorgen nicht verbergen. Sie gerieten ins Schwärmen über den kolossalen Sieg und sprachen immer wieder von einem "historischen Tag" und dass sie sich glücklich schätzen könnten, dabei zu sein.

Eine bekannte Radio-Moderatorin, die mit ihrem Kollegen in Grant Park in Chicago verbunden war, sagte: "Joram, ich bin neidisch, dass du in Chicago bist und ich hier moderieren muss."

In sämtlichen Berichten wurde am Mittwoch immer wieder darauf hingewiesen, dass Obama schwarz ist und an die Ära Martin Luther Kings anknüpfe. Eine Radiosendung brachte minutenlange öffentliche Reden des schwarzen Bürgerrechtlers, in denen er seiner Hoffnung auf Gleichberechtigung der Schwarzen Ausdruck verlieh.

Manch einer der Kommentatoren wies daraufhin, dass Obama die Ära Bush, die "nur Kriege und eine kaputte Wirtschaft" verursacht habe, nun ablöst. Einzig und allein tröstende Worte fand der scheidende Regierungschef Ehud Olmert, der selbst am Tag von Obamas alles überstrahlendem Sieg die zwei Amtszeiten George W. Bushs hochlobte.

Am frühen Abend wurden die euphorischen Berichte mit der Sorge um das Atomprogramm Irans angereichert. Die Absicht Obamas, mit Teheran den Dialog aufzunehmen, wird im israelischen Politikbetrieb parteiübergreifend mit Sorge betrachtet.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie Politiker und Experten in der Türkei versuchen, der Bevölkerung die Angst vor Obama zu nehmen.

Kai Strittmatter berichtet aus der Türkei

Warum die türkische Elite in der Vergangenheit stets die amerikanischen Republikaner mehr schätzten als die Demokraten, das brachte der ehemalige Botschafter in den USA, Faruk Logoglu, auf den Punkt: "Weil die Republikaner beim Thema Menschenrechte weniger sensibel sind und dafür mehr Wert auf das Thema Sicherheit und Verteidigung legen."

Ansonsten aber gaben sich Politiker und Experten große Mühe, den Türken zu erklären, warum sie vor einem US-Präsidenten Obama keine Angst haben müssten: Erstens verlasse sich Obama auf die gleichen Türkei-Berater wie schon sein demokratischer Vorgänger Bill Clinton. Und zweitens habe sich die Türkei in den letzten Jahren selbst aus der Schusslinie genommen bei vielen einst heiklen Themen.

Viel war in den letzten Tagen spekuliert worden, ob Obama der Armenier-Lobby in den USA sein Ohr leihen würde. Der Druck auf Obama werde steigen, die Massaker von 1915 an den Armeniern offiziell als Völkermord anzuerkennen, meinte Suat Kiniklioglu, Abgeordneter der Regierungspartei AKP und einstiger Direktor des German Marshall Funds in Ankara: "Aber ich glaube nicht, dass er sich auf ein solches Abenteuer einlässt."

Ömer Taspinar, der Türkeiexperte des Brooking-Institutes, riet den Türken zu selbstbewusster Vorbeugung: "Ankara muss die Beziehungen zu Armenien weiter verbessern und so die Lobby der Exil-Armenier in den USA marginalisieren." Die Türkei ist Nato-Partner der USA, Umfragen zeigen jedoch, dass der Anitamerikanismus unter der türkischen Bevölkerung seit dem Irakkrieg stärker ausgeprägt ist als in fast allen anderen Ländern der Welt.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie die Wahlparty in der US-Botschaft in Peking verlief.

Henrik Bork berichtet aus China

Jubel unter jungen Chinesen und höfliche Gratulationen der kommunistischen Führung waren Chinas erste Reaktionen auf den Sieg Obamas. 600 chinesische Studenten, Akademiker und Diplomaten verfolgten die Wahl live bei einem Empfang der US-Botschaft.

Einige von ihnen applaudierten und schwenkten amerikanische Fähnchen, als die Nachricht vom Wahlsieg kam. "Ich bin sehr glücklich, dass heute in den USA Geschichte gemacht worden ist", sagte die Studentin Li Nan von der Akademie der Sozialwissenschaften. In den Augen vieler Chinesen sei "Amerika ein rassistisches Land", sagte Li. Noch kurz vor der Wahl habe es im Fernsehen geheißen, dass weiße Wähler nicht für einen Schwarzen stimmen würden. "Ich glaube, eine Menge Chinesen werden nun ihre Meinung darüber ändern", sagte die Studentin.

Staats- und Parteichef Hu Jintao schickte eine Grußbotschaft. Er freue sich darauf, mit Barack Obama für "langfristige, gesunde US-chinesische Beziehungen zusammenzuarbeiten", schrieb Hu.

Das Interesse an dieser US-Wahl war auch in China viel größer als bisher. Viele junge Chinesen träumen davon, in den USA zu studieren oder zu arbeiten - und ältere Chinesen davon, ihren Kindern diesen Traum zu ermöglichen. Auch viele chinesischen Spitzenpolitiker schicken ihre Kinder zum Studium in die USA.

Und von den beiden Kandidaten hatte eindeutig Obama die Herzen der Chinesen erobert. 75 Prozent aller befragten Chinesen waren vor der Wahl für Obama, hieß es in einer Umfrage des Meinungsinstituts Horizon in Peking. "Vielleicht waren sein Alter, seine Energie, sogar seine Hautfarbe, die den amerikanischen Traum symbolisiert, für die Chinesen ansprechender", sagte Song Zhiyuan, der den Inhalt der Umfrage analysierte.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum Spanien die Wahlen mit ganz besonderem Interesse verfolgte.

Javier Cáceres berichtet aus Spanien

Spanien erwachte in einem fast rauschhaften Zustand. Die linksliberale Zeitung El País attestierte dem Wahlsieg Obamas revolutionäre Züge, das rechtsliberale Blatt El Mundo sah darin die Verwirklichung des Traums von Martin Luther King.

Spaniens Politszene hatte auch deshalb besonders interessiert in die Staaten geblickt, weil der scheidende US-Präsident George W. Bush Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero nie verziehen hat, dass dieser nach seinem Wahlsieg 2004 die spanischen Truppen aus dem Irak abzog.

Zapatero wurde deshalb nie ins Weiße Haus eingeladen, Bush mied Madrid. Am Mittwochmittag trat Zapatero vor dem Regierungspalast vor die Presse, um Obama zu beglückwünschen. Dessen Triumph läute "eine neue Periode der Hoffnung für die USA und die Welt ein", sagte er. Die USA würden "in Spanien einen Freund und einen treuen Alliierten haben", fügte er hinzu.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, was sich die Schweden von Obama wünschen.

Gunnar Herrmann berichtet aus Schweden

Auch in Danderyd haben sie am Dienstag abgestimmt. In dem Stockholmer Vorort spielten die Schüler eines Gymnasiums die US-Wahl nach. Weiß-rot-blauen Girlanden wanden sich durch die Gänge vor den Klassenzimmern, im Schulhof flatterte das Sternebanner im nordischen Wind. Sogar eine Reporterin von der großen Tageszeitung Svenska Dagbladet war da und berichtete ausführlich über die lebhaften Wortgefechte zwischen Obama-Fans und McCain-Anhängern in den Korridoren der schwedischen Schule.

Die Schweden fühlen sich seit jeher eng mit der angelsächsischen Kultur verbunden. Im Fernsehen laufen britische und amerikanische Serien in Originalsprache und erzielen höchste Einschaltquoten. Schwedische Musiker wie "Abba", die "Cardigans" oder Robyn singen selbstverständlich auf Englisch. Und die urschwedischen Automarken Volvo und Saab gehören schon lange den Konzernen Ford und General Motors. Kein Wunder, dass die Schweden bei der US-Präsidentschaftswahl begeistert mitfiebern.

Eine "Valvaka" (Wahlparty) veranstaltete die US-Botschaft im Stockholmer Hotel Hilton. Sozialdemokratin Mona Sahlin, Chefin der größten Oppositionspartei, plauderte dort in einer ganzen Reihe von Interviews über das Ergebnis. Sie hoffe nun auf ein schnelles Ende des Irakkrieges und dass die USA mehr für den Klimaschutz tun, sagte sie. Die Bedeutung der Wahl für den Klimaschutz betonte auch Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt kurz nachdem Obamas Sieg feststand. Er habe in dieser Frage "große Erwartungen" an den neuen Präsidenten.

Schweden übernimmt im zweiten Halbjahr 2009 die EU-Ratspräsidentschaft und in dieser Zeit findet auch der internationale Klimagipfel in Kopenhagen statt. Schweden und Dänemark hoffen, dass bei dem Treffen ein Nachfolge-Abkommen für das Kyoto-Protokoll beschlossen wird. Das wäre für die Regierungen ein großer Erfolg - erreichen können sie den aber nur mit Hilfe aus Washington. Mit Barack Obama, so meinen die meisten, lässt sich über Klimaschutz leichter reden als mit John McCain.

Beim Wahl-Spiel in Danderyd gewann Obama übrigens mehr als 80 Prozent der Stimmen. Vielleicht lag das auch daran, dass die Kampagne der Republikaner in dem schwedischen Gymnasium nie richtig in Fahrt kam. An einem McCain-Infostand verriet ein Schüler der Reporterin von Svenska Dagbladet, "tief drinnen" sei er ja eigentlich für Obama. "Aber wir dürften uns nicht aussuchen, für welchen Kandidaten wir Wahlkampf machen. Also muss ich jetzt zu McCain halten."

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