SZ-Kommentar:Vom Feind vereint

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Der islamische Extremismus könnte Russland und die USA zusammenrücken lassen.

Daniel Brössler

(SZ vom 24.9.2001) - Zwischen dem Fall der Berliner Mauer und dem Einsturz des Welthandelszentrums in New York liegen zwölf Jahre. Diese kurze Spanne trennt die Zeitenwende der Hoffnung von der Zeitenwende des Horrors.

Dabei ist nicht erst seit dem Terrorangriff auf Amerika klar, dass das Epochenjahr 1989 bei weitem nicht gehalten hat, was es zu versprechen schien. Wer will, kann daraus nun sogar ein wenig Trost schöpfen. Wenn die Euphorie nach dem Ende des Kalten Krieges übertrieben war, so sind es die Ängste zu Beginn des Grauen Krieges vielleicht auch.

Nach der friedlichen Selbstauflösung des Warschauer Paktes hatte die Welt mit dem Ende des Ost-West-Konflikts gerechnet. Doch so weit wollte sich das Rad der Geschichte nicht drehen. Mitteleuropa, ohnehin nur durch Gewalt unter sowjetische Hegemonie geraten, schloss sich wieder dem Westen an. Russland aber blieb, wo es war - ohne freilich zu wissen, wo das genau ist.

Heil in der Distanz zu Amerika

Auf der Standortsuche näherte es sich zunächst Amerika an, um schließlich festzustellen, dass es dort weder wirtschaftlich noch politisch jenen Halt finden wird, den es gebraucht hätte, um den Verlust des Supermachtrangs zu verkraften. Daraufhin suchte Moskau sein Heil in der Distanz zu Amerika.

Ein Dreisatz sollte das Selbstbewusstsein der geschundenen Nation aufrichten: Wir sind groß. Wir haben Atomwaffen. Und wir lassen uns von den USA nichts vorschreiben.Zwischen Boris Jelzin und Wladimir Putin besteht insofern kein großer Unterschied. Jelzin verfolgte diese Linie polternd, Putin tut es geschmeidig.

Nach den massenmörderischen Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon hat Russlands Präsident den Amerikanern rasch und überzeugend sein Mitgefühl ausgedrückt. Wortreich schrieb er sich ein in die von Amerika geforderte Internationale des Anti-Terrors. Wird nun also alles anders? Sollten ausgerechnet arabische Terrorflieger vollbracht haben, woran demokratische Politiker gescheitert sind - die Einigung des

Westens und Russlands?

Unmöglich ist das nicht. Schon deshalb, weil der Terror fast jeden amerikanisch-russischen Streit relativiert. Der Ärger über die Nato-Erweiterung an seiner Westgrenze wird in Russland bleiben, doch vernünftigerweise kann niemand in Moskau darin auch nur annähernd eine ähnliche Gefahr sehen wie sie der Islamismus im Süden darstellt.

Auch der Konflikt um den ABM-Vertrag von 1972, der Amerikas Raketenabwehrplänen im Wege steht, erscheint in neuem Licht. Nun zeigt sich, dass beide Seiten recht hatten. Die USA mit der Klage, der ABM-Vertrag passe nicht mehr in die völlig veränderte Weltlage. Die Russen mit der Mahnung, die geplante Raketenabwehr biete vor den tatsächlichen Bedrohungen gar keinen Schutz.

In vielem wirkt der alte Streit deshalb so kleinlich, weil er nicht aus einem wirklichen Gegensatz wie zu Zeiten des Kalten Krieges resultierte, sondern aus Orientierungslosigkeit. Amerika und Russland misstrauten sich, weil ein Ersatz für das alte Freund-Feind-Muster noch nicht gefunden war. Daran hat sich nichts geändert.

Aber immerhin gibt es nun wieder einen Feind, und diesmal handelt es sich um einen gemeinsamen. Russland fürchtete stets ein Eindringen Amerikas in seinen rohstoffreichen Hinterhof Zentralasien. Nun muss es erkennen, dass es dort der Gefahr des Terrors ohne amerikanische Hilfe nicht Herr wird. Russland kann nun hoffen, dass die Kritik am Krieg in Tschetschenien leiser wird; die Kritik an den Kriegsverbrechen darf aber nicht verstummen.

Russische Soldaten werden nicht mit amerikanischen ins Feld ziehen, schon wegen des russischen Afghanistan-Traumas. Aber amerikanische Truppen werden sich womöglich mit Billigung Moskaus zeitweise auf einst sowjetischen Stützpunkten in Zentralasien einrichten. Und schon jetzt beliefern Russlands Geheimdienste die USA. Amerika braucht Russland. Gegen Moskaus Komplexe ist das die beste Medizin.

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