SZ-Kommentar:Steinzeit versus Mikrochip

Peter Münch

(SZ vom 20.9.2001) - Die Taliban sind in einer hoffnungslosen Lage. Die weltfremden Korankrieger stehen plötzlich im Mittelpunkt des Weltinteresses, und ihre Orientierungslosigkeit angesichts drohender amerikanischer Angriffe können sie auch durch noch so martialische Rhetorik nicht kaschieren.

Zwar ist in Kabul und Kandahar viel vom "Heiligen Krieg" die Rede gewesen. Doch die Regeln dieses Krieges, das wissen auch die Taliban, werden nicht sie bestimmen, sondern die Amerikaner. Und die werden ihn auch gewinnen.

Zu beobachten ist deshalb ein bizarres Schauspiel: Erstens, wie sich das internationale Interesse nun auf die Hinterwäldler im Hindukusch fokussiert, wie ihnen nach allen Regeln der Kunst militärisch und politisch Druck gemacht wird. Und zweitens, wie die in Dingen moderner Diplomatie unbedarften Glaubenskämpfer mit ihren Mitteln dagegen zu halten versuchen. Da treffen Steinzeit und Mikrochip-Zeitalter aufeinander.

Die in Kabul versammelten Gelehrten haben also ihre eigene Orientierungslosigkeit erkannt und spielen auf Zeit. Es wurde darüber geredet, ob geredet werden soll, und Taliban-Chef Mullah Muhammad Omar erneuerte das Angebot an die USA, in Verhandlungen über bin Ladens Schicksal einzutreten.

Nach einhelliger Ansicht der Außenwelt allerdings sind solche Verhandlungen überflüssig, da die Taliban bereits seit Jahren durch Resolutionen der Vereinten Nationen zur Überstellung bin Ladens aufgefordert werden.

Weltfremd sind auch die Bedingungen, die im Gegenzug für eine mögliche Auslieferung bereits gestellt wurden. Die Taliban agieren also fern der Realität, doch diese Realität droht sie bald einzuholen.

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