SZ-Kommentar:Hannemann, geh du voran

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Animositäten und europäische Eitelkeiten stehen der UN-Schutztruppe in Afghanistan im Weg.

Nico Fried

(SZ vom 20.12.2001) - Die wichtigsten europäischen Staaten präsentieren derzeit jenes grauenhafte Schauspiel, dessen Absetzung sie eigentlich längst versprochen haben. Animositäten, nationale Eitelkeiten und offene Rechnungen verhindern seit Tagen eine einheitliche Haltung zur geplanten Schutztruppe in Afghanistan.

Im Anti-Terror-Krieg der USA waren Deutsche, Franzosen und selbst Briten bislang allenfalls Statisten. Nun überlassen ihnen die Amerikaner das Rampenlicht der zweifellos gefährlichen, aber ebenso ehrenvollen Aufgabe, eine neue Regierung in Kabul zu beschützen. Und was passiert? Sie kriegen es wohl irgendwann geregelt, aber doch nur mit Ach und Krach.

Fast muss man froh sein, dass sich auch die Verhandlungen mit der afghanischen Seite so schwierig gestalten: Wäre die künftige Übergangsregierung in Kabul allen westlichen Wünschen schnell und vorbehaltlos nachgekommen, dann stünden die potenziellen Beschützer mit ihren Zwistigkeiten noch lächerlicher da.

Es gab Zeiten, da mussten die westlichen Staaten in den Vereinten Nationen die Sturheit von Russen oder Chinesen überwinden. Inzwischen blockieren sich Franzosen und Briten dort gegenseitig. Und die Deutschen erledigen das, was ihnen mangels Sitz im Sicherheitsrat an direkter Mitsprache verwehrt bleibt, am Telefon. So kann man hinter den Kulissen Einfluss nehmen und auf offener Bühne treuherzig behaupten, dass man keinen hat.

Zweifellos tragen die Briten in diesem Fall die meiste Verantwortung für die klägliche Vorstellung. Mit seiner Bereitschaft, die Führung der Schutz-Operation zu übernehmen, hat Tony Blair zunächst den großen Sprung nach vorne gewagt. Dann musste der Premierminister feststellen, dass viele Engländer nicht nur den Frieden sehen, der geschaffen werden soll, sondern vielmehr auch die Kosten und Gefahren, die damit verbunden sind.

Nun versucht Blair, in kleinen Tippelschritten wieder rückwärts zu gehen: möglichst weg von allzu langer Verantwortung und möglichst weit in den Schutzbereich der Amerikaner. Genau das aber wollen die Franzosen schon aus prinzipiellen Gründen nicht.

Und in Berlin gibt es durchaus wichtige Vertreter der Bundesregierung, die die Nöte des voreiligen englischen Freundes mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nehmen - und dabei vergessen, dass es Nöte mit einer Aufgabe sind, die zu übernehmen man selbst nicht in der Lage war.

Viel gravierender als die Frage, wer diese Blamage zu verantworten hat, ist allerdings, dass diese Frage überhaupt noch gestellt werden muss. Allen Ankündigungen zum Trotz, eine Re-Nationalisierung der Außenpolitik solle verhindert werden, findet genau dies unter den Europäern immer wieder statt.

Deutsche, Franzosen und Briten waren bislang nicht in der Lage, sich so zu koordinieren, dass derartige Peinlichkeiten verhindert werden können. Schaden droht damit nicht nur der Sache - dem Frieden in Afghanistan - sondern auch der eigenen Bedeutung. Wer sich so aufführt, verspielt den Anspruch, ernst genommen zu werden.

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