SZ-Interview mit Otto Schily:"Eigensinn der Länder lähmt Terrorbekämpfung"

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Der Bundesinnenminister spricht von einer neuen Dimension der Bedrohung, fordert mehr Kompetenzen für den Bund und ein soziales Pflichtjahr für Männer und Frauen, sollte die Wehrpflicht einmal abgeschafft werden.

Interview: Philip Grassmann und Heribert Prantl

SZ: Am heutigen Freitag treffen sich die Innenminister in Brüssel zu einem Sondergipfel gegen den Terrorismus. Kommt dabei mehr heraus als Absichtserklärungen und Bekenntnisse?

Otto Schily (Foto: Foto: dpa)

Schily: Es wird konkrete Ergebnisse geben. Wir werden beraten, wie wir unseren Informationsverbund verbessern. Wir brauchen einen raschen Austausch aller sicherheitsrelevanten Erkenntnisse in Echtzeit, wir brauchen die Vernetzung von Informationen.

SZ: Bei der europäischen Terrorbekämpfung weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut. Die europäische Polizeibehörde Europol und Eurojust, der Vorläufer einer EU-Staatsanwaltschaft, dürfen keine Daten austauschen, weil es keine Rechtsgrundlage dafür gibt.

Schily: Die wird geschaffen werden.

SZ: Es gibt in Deutschland eine millionenstarke muslimische Gemeinschaft. Sind Sie zufrieden mit der Haltung, die deren Vertreter zum islamistischen Terror einnehmen?

Schily: Ich erwarte von den Muslimen in Deutschland nicht nur, dass sie erklären, sie seien friedliebende Menschen. Das trifft zwar auf die überwiegende Mehrheit zu. Aber die Muslime dürfen nicht nur passive Zuschauer sein, sondern müssen sich aktiv für den Frieden in der Gesellschaft einsetzen.

Ich vermisse manchmal zum Beispiel etwas Sensibilität dafür, was in einer Moschee gepredigt werden kann und was nicht. Auch die Verurteilung islamistischer Gewalttaten könnte klarer zum Ausdruck kommen. Warum gibt es keine Demonstrationen muslimischer Bürger gegen den islamistischen Terror?

SZ: Was bedeuten die Anschläge in Madrid für die Sicherheitslage in Europa?

Schily: Es ist gesagt worden, der Terrorismus sei nun in Europa angekommen. Das ist falsch. Es gab schon vorher Anschlagplanungen, die wir aber glücklicherweise unterbinden konnten. Ich verweise auf den geplanten Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt oder auf die Pläne der Gruppe Al Tawhid.

Der Terrorismus ist schon längst hier angekommen. Aber gewiss ist der islamistische Terrorismus in Europa mit den Anschlägen von Madrid auf einer neuen Eskalationsstufe angelangt.

SZ: Der Terrorismusexperte Walter Laqueur hat nach dem 11.September gesagt, es werde bei der Terrorbekämpfung nicht die Frage sein, welche Menschenrechte wir aufgeben wollen, sondern welche wir uns noch leisten können.

Schily: Ein hochgefährlicher Satz, dem ich energisch wiederspreche. Die Aufgabe von Menschenrechten wäre der falsche Weg. Terrorismus ist die schlimmste Form von Verletzung von Menschenrechten. Und wir müssen bei der Gegenstrategie abwägen: Was ist wichtig, und was ist weniger wichtig.

SZ: Wichtig ist ein faires Gerichtsverfahren, ein Menschenrecht gegen willkürliche Inhaftierung. Diese Menschenrechte werden leider auf Guantanamo verletzt.

Schily: Ich bin sehr kritisch gegenüber Guantanamo. Das sage ich auch unseren amerikanischen Partnern. Aber wir sollten diese Diskussion nicht hochnäsig führen. Die Terroristen in Afghanistan sind keine Kombattanten im Sinne der Genfer Konvention.

Es handelt sich nicht um eine kriegsführende Partei, sondern um eine Bande von Verbrechern. Andererseits setzen wir gegen sie nicht nur polizeiliche, sondern auch militärische Mittel ein. Wir haben, das muss man offen bekennen, noch keine eindeutige rechtliche Kategorie gefunden, mit diesen Menschen umzugehen.

SZ: Mit ihnen muss man anders umgehen als sonst mit Mördern?

Schily: Irgendwie passen die alten Normen nicht mehr. Wenn wir das Strafrecht einsetzen, dann haben wir immer noch die Vorstellung, dass da ein Mitglied der Gesellschaft ist, das nach Verbüßung seiner Strafe wieder eingegliedert werden kann. Auch ein Schwerverbrecher wird nach Strafverbüßung in der Erwartung entlassen, dass dies gelingt.

SZ: Und bei islamistischen Terroristen ist das nicht möglich?

Schily: Das ist zumindest die Frage. Was bedeutet beispielsweise die Androhung der Höchststrafe für einen Selbstmordattentäter? Nichts! Eine solche Gruppe bildet ein ernsthaftes Gefahrenpotenzial.

Gleichwohl muss bei Freiheitsbeschränkungen wie in Guantanamo ein Mindestmaß an Humanität und Legalität vorhanden sein, damit der Rechtsstaat seine eigenen Prinzipien nicht beschädigt. Nur: Die Gesellschaft hat auch einen Anspruch, sich zu schützen.

SZ: Beim Zuwanderungsgesetz stehen auf einmal Sicherheitsfragen im Vordergrund. Sehen Sie dort Regelungsbedarf?

Schily: Im Zuge einer ganzheitlichen Gefahrenabwehr dürfen wir keinen Bereich auslassen. Deshalb gehört auch das Ausländerrecht dazu.

SZ: Befürworten Sie die Ausweisung ohne konkreten Tatverdacht, wie es die Union verlangt?

Schily: Nein. Die Union versucht, uns mit dieser Forderung auf eine falsche Fährte zu locken. Sie arbeitet mit dem Begriff des Verdachts. Das ist eine Kategorie aus dem Strafprozess. Dies hat aber mit dem wirklichen Problem überhaupt nichts zu tun. Es geht nicht um einen strafrechtlichen Verdacht gegen einen Ausländer, sondern darum, ob er eine polizeirechtliche Gefahr für unsere Sicherheit darstellt.

Im Ausländerrecht heißt es sinngemäß: Wenn jemand die innere Sicherheit gefährdet, dann erhält er keinen Aufenthaltsstatus. Dazu muss ich aber niemanden einer Straftat überführen, es reichen polizeiliche Erkenntnisse. Und es stellt sich die Frage, ob bei einer Gefahr für die Sicherheit durch einen hier lebenden Ausländer die Hürden für Konsequenzen, also konkret für eine Ausweisung, im geltenden Recht nicht zu hoch sind, nicht lebensnah genug...

SZ: Warum?

Schily: Weil die Prüfungsmaßstäbe, die da angelegt werden, der Realität nicht gerecht werden.

SZ: Da wird sich die Union freuen. Sie gehen ja noch weiter als die.

Schily: Das stimmt nicht. Aber ich suche jedenfalls einen Konsens. Den Personen beispielsweise, von denen wir sicher wissen, sie waren in einem Al-Qaida-Ausbildungslager, will ich in Deutschland kein Aufenthaltsrecht gewähren, weil sie ein Gefahrenpotenzial darstellen. Alles andere wäre auch dem Bürger nicht vermittelbar. Man muss nicht erst warten, bis jemand eine Straftat begangen hat.

SZ: Ausweisung - so leicht wie nie.

Schily: Ich weiß, dass dies eine heikle Frage ist. Wenn die Union von mir verlangen sollte, dass ich jemand mit Rücksicht auf die Gefahrenlage in ein Land zurückschicke, in dem ihm Folter oder die Todesstrafe droht, dann sag ich klipp und klar: Das werde ich nicht mitmachen.

SZ: Darüber entscheiden ja auch nicht Sie, sondern die Länderbehörden.

Schily: Aber die Länderbehörden können nur aufgrund der Gesetze entscheiden, die wir im Bundestag beschließen.

SZ: Wir sind nun bei den Bund-Länderkompetenzen. Steht die deutsche Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand?

Schily: Ja. Wir müssen zum Beispiel das Bundeskriminalamt ganz anders aufstellen. Gerade in Krisensituationen muss das Management reibungslos funktionieren. Da spielt auch die räumliche Entfernung zwischen Berlin und und anderen Standorten schon eine Rolle. Ich kann in so einer Situation nicht mit Videokonferenzen arbeiten. Deshalb ist ein Umzug zumindest einiger Teile des BKA notwendig.

SZ: Hinter dem Streit um den Standort steckt vielleicht noch mehr: die Frage, ob nicht eine starke Bundespolizei notwendig ist. Nach 1945 haben die Alliierten gesagt, sie wollten die Reichspolizei entnazifizieren, demokratisieren und zu diesem Zweck dezentralisieren.

Schily: ... und man wollte das Bundeskriminalamt unter Kontrolle halten. Deshalb wurde es in Wiesbaden, dem Sitz der amerikanischen Zentralverwaltung, angesiedelt.

Auch künftig soll die dezentrale Kriminalitätsbekämpfung und Aufklärungsarbeit nicht aufgegeben werden. Es ist gut, wenn die Polizei sich vor Ort auskennt. Aber inzwischen ist der föderale Eigensinn so weit entwickelt, dass er uns lähmt. Wir haben Strukturen, durch die Reibungsverluste entstehen. Das können wir uns angesichts des Terrorismus nicht mehr leisten.

SZ: Wie müsste die Sicherheitsstruktur idealerweise aussehen?

Schily: Wenn ich einen Wunschzettel hätte, dann wäre es sinnvoll, ein Bundeskriminalamt zu haben, dem die 16 Landeskriminalämter als Außenstellen zugeordnet sind. Ähnliches wäre für das Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 Landesämter vorstellbar. Darin einen Verstoß gegen den Föderalismus zu sehen, ist schlicht falsch.

Ich will nur noch einmal daran erinnern, dass das Bundeskriminalamt im Grundgesetz als zentrale Polizeibehörde ausgewiesen ist. Erreichbar sind aber - und daran arbeiten wir - eine bessere Koordination und ein schnellerer Informationsaustausch.

SZ: Die Frage ist, ob man das BKA aufwerten kann.

Schily: Richtig. Leider gibt es dagegen erbitterten Widerstand der Länder.

SZ: Und wie wollen Sie den überwinden?

Schily: Eigentlich wäre das ein Thema für die Föderalismuskommission. Aber dort steht es nicht auf der Tagesordnung und wird wohl auch nicht darauf kommen. Ich habe ohnehin die Befürchtung, dass diese Kommission scheitern könnte, wenn die Beteiligten daraus ein reines Machtspiel machen.

SZ: Warum lehnen Sie die Vorschläge der Union so vehement ab, die Bundeswehr bei allgemeinen Gefahrenlagen im Inneren einzusetzen?

Schily: Man kann die Bundeswehr nicht zur Hilfspolizei machen, nur weil die Länder meinen, sie hätten nicht genügend Beamte zur Verfügung. Nach der Verfassungslage kann die Bundeswehr schon jetzt bei Katastrophen Amtshilfe leisten.

Im Bereich der Luftsicherheit können wir uns meinethalben auf eine Klarstellung im Grundgesetz verständigen. Aber eine Ausweitung der Bundeswehr-Befugnisse für einen Katastrophenfall brauchen wir nicht. Die Bundeswehr kann im Katastrophenfall selbstverständlich helfen, wie sie beim Elbe-Hochwasser bewiesen hat.

SZ: Die Frage ist doch, ob in Deutschland - nach einem vergleichbaren Anschlag wie jetzt in Madrid - eine Gefahrenlage vorläge, die einen Bundeswehreinsatz rechtfertigen würde.

Schily: Denkbar wäre in einem solchen Fall, dass man die Bundeswehr für Krankentransporte und für die Behandlung Verletzter einsetzt. Aber polizeiliche Aufgaben sollten grundsätzlich ausgeschlossen bleiben.

SZ: Bei einem ABC-Anschlag?

Schily: Ich hoffe, dass dieser Fall nie eintritt. Aber: Da sind die Katastropheneinrichtungen vom Technischen Hilfswerk bis zur Feuerwehr heute mit mehreren hundert Fahrzeugen besser ausgerüstet als die Bundeswehr. Eine Verschiebung der Zuständigkeiten bringt uns doch nicht weiter.

SZ: Es geht doch auch darum, ob bei einem Fall der Großgefahr genügend Polizeikräfte vorhanden sind.

Schily: Gut, dann ist aber nicht die Frage, ob man die Bundeswehr einbeziehen muss, sondern ob wir mehr Polizisten brauchen - was aber nicht der Fall ist.

SZ: Sind sie als Innenministerium schon ein Heimatschutzministerium, oder müssen Sie es noch werden?

Schily: Wir sind es im gewissen Sinne. Deshalb gehören zu meinem Ressort das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und das Technische Hilfswerk. Das THW ist eine interessante Kombination von freiwilligen Helfern und hauptberuflich Tätigen mit hoher Fachkunde - um das uns übrigens viele im Ausland beneiden. Allerdings frage ich mich, was passiert, wenn wir uns in Richtung Berufsarmee entwickeln. Denn viele dieser Helfer sind Zivildienstleistende.

Woher rekrutieren wir dann diese Menschen, wenn die Wehrpflicht irgendwann einmal wegfallen sollte? Dann muss man sich schon die Frage stellen, ob wir angesichts der Entwicklung der Gefahrenpotenziale nicht so etwas brauchen wie ein soziales Pflichtjahr. Ich sehe das nicht als Tabu an, über das man nicht reden darf.

SZ: Sie wollen ein Pflichtjahr. Der Dienst findet nicht mehr in der Truppe statt, sondern in der Gesellschaft?

Schily: Ja. Es geht dann nicht mehr allein darum, das Vaterland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen, sondern ihm anderweitig zu dienen.

SZ: Soll das Pflichtjahr auch für Frauen gelten?

Schily: Ja.

SZ: Dann müssen Sie aber das Grundgesetz ändern.

Schily: Ja, aber entscheidend ist doch die politische und gesellschaftliche Vorfrage: Wir müssen die neue Dimension der Bedrohung erfassen. Deshalb müssen wir auch unsere Abwehrkräfte stärken. Und dazu gehört, dass wir ein Abwehrbewusstsein in der deutschen Bevölkerung schaffen und für mögliche Notlagen ein Reservoir an Helfern haben. Da könnte ein Pflichtjahr - das sicher auch andere soziale und gesellschaftliche Zielrichtungen hätte - helfen.

SZ: Ein Pflichtjahr zur Gefahrenabwehr?

Schily: Voraussetzung ist allerdings, dass die Leute in ihrem Pflichtjahr dazu ausgebildet worden sein müssen. Aber dann hätte ich dagegen keine Bedenken.

SZ: Statt Wehrpflicht also künftig eine Gemeinnutzpflicht? Junge Menschen im Pflichtjahr als Helfer gegen den Terror?

Schily: Nennen Sie es, wie Sie wollen. Mir geht es vor allem darum, dass jeder junge Mensch dann seinen Beitrag für die Gesellschaft leisten könnte, ob in der Pflege alter Menschen oder in der Gefahrenabwehr beim THW.

© SZ vom 19.3.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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