Sudan:In der mörderischen Hitze der Sahara

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Bomben auf Dörfer, Jagd auf Bewohner und Vieh - die Soldateska des Regimes und eine arabische Miliz provozieren im Westen des Sudans eine Flüchtlingskatastrophe.

Von Michael Bitala

(SZ vom 14.5.2004) - Man muss die fremden, hart klingenden Worte des alten Mannes nicht sofort verstehen, um zu wissen, wovon er spricht. Während er erzählt, lässt er seinen rechten Arm über dem Kopf kreisen, dann hält er unsichtbare Zügel in der Hand und bewegt sein Becken wie im Galopp, und schließlich gibt er Laute von sich: "Bumm", "Tocktocktocktocktock", "Bumm", "Tocktocktock".

Muhamade Machmut, der mit seinem gegerbten, zerfurchten Gesicht, seinem weißen Turban und weißen Kaftan so stolz und erhaben wirkt, erzählt vom Terror im Westsudan, in der so genannten Darfur-Region. Wie er vertrieben wurde, wie die sudanesische Regierungsarmee und eine arabische Reitermiliz namens Janjaweed in sein Dorf einfielen, wie Kampfhubschrauber die Ortschaft bombardierten, wie die Angreifer über die Bewohner herfielen und wahllos Menschen erschossen, wie sie die runden Strohhütten in Brand steckten und nicht nur die Ernte und das Vieh stahlen, sondern alles, was sie mitnehmen konnten.

An diesem Tag fand er noch Schutz in den Dünen der umliegenden Halbwüste, ein paar Tage später aber kam die zweite Attacke, und diesmal waren neben Hubschraubern und der Reitermiliz auch noch Kampfflugzeuge vom Typ Mig-21 beteiligt. "Die haben 100 Dörfer gleichzeitig angegriffen", sagt Muhamade Machmut. Damals war ihm klar, dass er fliehen musste - alles andere hätte den sicheren Tod bedeutet.

Flucht ins Nachbarland

Seit drei Monaten sind Muhamade Machmut und die anderen Überlebenden nun in Sicherheit, in einem überfüllten Flüchtlingslager im Nachbarland Tschad, nur ein paar Kilometer von Darfur entfernt. Doch auch hier, am südlichen Rand der Sahara, in der Nähe der glutheißen Grenzstadt Tiné, ist ihr Überleben nicht gesichert. Schon frühmorgens zeigt das Thermometer 39 Grad im Schatten, und die Sonnenstrahlen schmerzen nach kurzer Zeit wie Peitschenhiebe. "Wir haben viel zu wenig Wasser und fast nichts zu essen", sagt Machmut, "unsere Kinder sterben schon." Gestern gab es vier Tote, vorgestern ebenfalls. "Sie müssen uns helfen", fleht der hochgewachsene, hagere Mann, "wir haben alles verloren und keine Reserven mehr. Wir sind am Ende."

Alle sudanesischen Flüchtlinge, die es in das Nachbarland Tschad geschafft haben - derzeit sind es nach Angaben der Vereinten Nationen rund 140.000 -, schildern ähnliche Erlebnisse. Sie lassen sich so zusammenfassen: Seit Februar 2003 führt die arabisch dominierte Militärregierung des Sudan einen Vernichtungs- und Vertreibungsfeldzug gegen die schwarzafrikanische Bevölkerung in Darfur, einer Region, die anderthalb Mal so groß ist wie Deutschland. Die Regierungsarmee bombardiert die Orte aus der Luft, anschließend fällt die arabische Reitermiliz Janjaweed zusammen mit sudanesischen Soldaten in die Dörfer und Städte ein.

Gezielte Jagd

Wie viele Menschen schon getötet wurden, weiß niemand, da fast kein unabhängiger Beobachter, Helfer oder Journalist nach Darfur hineinkommt. Klar hingegen ist, dass mehr als eine Million Menschen auf der Flucht sind, dass drei schwarzafrikanische Volksgruppen - die Fur, die Zaghawa und die Masalit - gezielt gejagt werden, dass Männer in Massen hingerichtet, Frauen systematisch und teilweise vor den Augen der Familie vergewaltigt werden. Das alles schildern die Flüchtlinge, und das alles steht auch in mehreren Berichten, die UN-Beobachter und Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erstellt haben.

Obwohl es sich jetzt schon um eine der schlimmsten Krisen der Gegenwart handelt, warnen die Vereinten Nationen und die Hilfsorganisationen vor einer noch viel größeren Katastrophe: Wenn das Morden und die Vertreibungen nicht sofort aufhören, wenn nicht sofort Hilfe nach Darfur gebracht werden kann, dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende an Hunger und Krankheiten sterben - allein schon deshalb, weil die sudanesische Regierung Hilfslieferungen nach Darfur blockiert und weil nach dem jüngsten UN-Bericht Flüchtlingslager von Soldaten und Janjaweed-Miliz abgeriegelt worden sind.

Keine UN-Resolution

Dennoch scheint dieser Vernichtungs- und Vertreibungsfeldzug die internationale Gemeinschaft nicht sonderlich zu beunruhigen. Der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am Freitag vergangener Woche über Darfur beraten, aber es gab keine Resolution, keine Verurteilung, keine Androhung militärischer Gewalt. Vorerst wird also nichts geschehen, und das kann nicht nur ein Massensterben auslösen - der Krieg im Westsudan hat auch schon auf den Tschad übergegriffen.

Auf den ersten Blick wirken die Handlanger des Terrors ziemlich harmlos. Dort drüben, keine 100 Meter entfernt, auf der anderen Seite des ausgetrockneten Flussbettes, liegen sie im Schatten der Bäume oder vor ihren Zelten. Und auf den ersten Blick erkennt man auch, dass das sudanesische Militärregime lügt, wenn es behauptet, dass seine Armee mit den Janjaweed nichts zu tun habe. Die Soldaten und die arabischen Milizen, die Militäruniformen und weiße Wüstengewänder tragen, sind - bei nun 47 Grad im Schatten - in eine gemeinsame Hitzestarre gefallen.

Brennend heißer Wüstenboden

Aber selbst wenn es kühler wäre, hätten die Männer nichts mehr zu tun. Die staubige Grenzstadt Tiné, in der es vor allem ockerfarbene Häuser aus ungebranntem Lehm gibt, ist seit Wochen menschenleer, zumindest auf der Seite des Sudan. Hier hingegen, auf der anderen Seite des Flussbettes, auf der Seite des Tschad, verharren Tausende von Vertriebenen. Sie campieren auf dem brennend heißen Wüstenboden und haben nicht einmal Planen oder Tücher, um sich vor der Sonne zu schützen. Viele Menschen blicken apathisch, Babys wimmern, Kinder schreien. Und fast überall, wohin man blickt, liegen aufgeplatzte und ausgedörrte Kadaver - tote Ziegen, Rinder, Esel, Schafe, aber auch Kamele.

Ahmat Tchock Pournedje ist der Polizeichef von Tiné auf der Seite des Tschad, ein großer, korpulenter Mann, der nun am Rande des Flussbettes steht und sagt, die Situation sei nicht nur für die Sudanesen eine Tragödie, sondern für alle Menschen. "Nicht nur der Stadtteil dort drüben ist menschenleer, in der ganzen Region gibt es außer Janjaweed und Regierungssoldaten keinen Bewohner mehr." Deshalb gibt es auch auf der Tschad-Seite von Tiné fast nichts mehr zu kaufen. "Wir leben vom Handel, vom Mehl, Zucker, Gemüse aus dem Sudan. Seit Monaten aber ist der Grenzverkehr zusammengebrochen." Nur noch Tiere verirren sich gelegentlich durch das Flussbett auf die sudanesische Seite. "Die sind für immer verloren", sagt der Polizist, "jede Kuh, jede Ziege, die hinüberläuft, wird von den Janjaweed und den Soldaten gefressen."

Kampf um Land und Wasserstellen

Nach Auskunft des Polizeichefs gab es seit jeher Konflikte in Darfur. Ackerbauern und Viehzüchter leben dort, Sesshafte und Nomaden, und sie haben sich schon immer um fruchtbares Land und Wasserstellen gestritten, weil beides eben sehr knapp ist. Da sich die Wüste jedes Jahr um sechs Kilometer ausbreitet, da viele Wasserstellen versiegen, nehmen die Streitereien und Kämpfe zu.

Zur Eskalation aber kam es erst, als die sudanesische Regierung die in Darfur lebenden arabischen Nomaden bewaffnete. Die schwarzafrikanischen Völker, die seit Jahrhunderten von den Arabern als Menschen zweiter Klasse oder gar als Sklaven betrachtet werden, waren fortan Freiwild. Für die Janjaweed-Miliz lohnt sich dieser Feldzug im staatlichen Auftrag. Sie kann ungestraft Kriegsverbrechen begehen, riesige Tierherden stehlen und außerdem sicher sein, dass sie alle Weidegründe und Wasserstellen zur Verfügung hat, wenn die schwarzafrikanische Bevölkerung erst einmal aus Darfur vertrieben worden ist.

Araber gegen Afrikaner

Schwieriger zu erklären ist, warum die sudanesische Regierung gar so brutal in Darfur zuschlägt. Es hängt vermutlich damit zusammen, dass in diesem Staat, der die siebenfache Größe Deutschlands hat, schon seit einem halben Jahrhundert nahezu ununterbrochen Bürgerkrieg herrscht, allerdings nicht im westlichen Darfur, sondern im Süden. Dort kämpfen christliche und animistisch orientierte Afrikaner gegen die Vorherrschaft und Unterdrückung durch die muslimischen Araber in der Hauptstadt Khartum. Nahezu gleichzeitig mit dem Kriegsausbruch in Darfur im vorigen Jahr wurden große Fortschritte bei den Friedensgesprächen zwischen der Regierung und der südsudanesischen Rebellengruppe SPLA erzielt.

Zwar gibt es noch keinen Vertrag, aber klar ist, dass sich das Regime in Khartum und die Süd-Miliz Macht und Reichtum teilen wollen, und dabei geht es vor allem um die enormen Erdölvorkommen. Alle anderen Volksgruppen, Parteien und Rebellengruppen bleiben ausgeschlossen - was zwei militante Bewegungen in Darfur zum Aufstand brachte. Auch sie wollen etwas abhaben, und sei es nur mehr regionale Autonomie.

Flüchtlingskatastrophe kaum noch aufzuhalten

Bei ihrer Revolte erhalten sie Unterstützung aus anderen Gegenden. Die "Sudanesische Befreiungsbewegung" wird von der Süd-Miliz mit Waffen versorgt, um den Erzfeind in Khartum bei den Verhandlungen zu schwächen und für den schlimmsten Fall, das Scheitern der Friedensgespräche, einen neuen Kriegsverbündeten zu haben. Die zweite Rebellengruppe in Darfur, die "Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden", erhält Unterstützung von der politischen Opposition in Khartum, die sich um den radikalen Islamistenführer Hassan al-Turabi gruppiert.

Sudans Präsident Omar al-Bashir könnte also durch den Aufstand im Westen gleich an mehreren Fronten in schwere Bedrängnis kommen und schlägt vermutlich deshalb so gnadenlos zu. Vielleicht glaubte das Regime aber auch, es werde angesichts der Verhandlungserfolge im Süden von der internationalen Gemeinschaft nicht kritisiert, wenn es - lange Zeit unbeachtet - den Aufstand in Darfur niederschlägt. Was immer die Gründe sein mögen, sicher ist, dass die Flüchtlingskatastrophe kaum noch aufzuhalten ist.

80 Prozent der Kinder unterernährt

Dazu muss man sich nur die erbärmlichen Lager im Tschad, entlang der Grenze zum Sudan, ansehen, wo immerhin, anders als in Darfur, geholfen werden kann. Fährt man zum Beispiel von Tiné in die nördlich gelegene Stadt Bahay, so braucht man für die wenigen Kilometer mehrere Stunden, da es hier nur die so genannte Autobahn nach Libyen gibt, eine staubige, mit großen Löchern übersäte Sandpiste. Ohne Geländewagen oder Lastwagen gibt es kein Fortkommen, und je weiter nördlich man fährt, desto tiefer gelangt man in die mörderische Hitze der Sahara.

Wie in Tiné, so campieren auch in Bahay mehr als 10.000 sudanesische Flüchtlinge ohne wirklichen Schutz vor der Sonne, und sie ernähren sich fast ausschließlich von Samenkörnern, die an den Sträuchern wachsen. Im Umkreis von zwei Tagesmärschen sind diese Körner, die satt machen, aber nahezu keinen Nährwert haben, schon abgeerntet. Außerdem ist das Wasser viel zu knapp.

An einem Brunnen drängeln sich Dutzende von Frauen, um ein paar Liter der stark verschmutzten braunen Flüssigkeit zu bekommen. 80 Meter tief musste der Besitzer für diese private Wasserstelle bohren, und deshalb müssen die Flüchtlinge nun bezahlen, die öffentlichen Brunnen funktionieren nicht. Wer kein Geld hat, bekommt kein Wasser.

Kein Wunder also, dass es zu Spannungen kommt. Die Ärztin Gillian Dunn erzählt, dass erst vor kurzem neun Frauen in nur einer Nacht in ihr Hospital eingeliefert wurden, weil sie sich um Wasser geprügelt hatten. Und je mehr Zeit vergeht, desto schlimmer wird der Zustand der Flüchtlinge. Schon jetzt sind 39 Prozent von ihnen unterernährt, besonders hoch ist mit 80 Prozent die Rate bei Kindern. Zwar ist die Zahl der Toten noch relativ gering, aber sie steigt stetig an. "Das Essen und das Wasser werden immer knapper", sagt Gillian Dunn, "das bedeutet, dass auch Krankheiten und Todesfälle stark zunehmen werden, wenn nicht endlich Nahrung geliefert und neue Brunnen gegraben werden."

Wenn der Regen kommt

Auch andere Helfer klagen darüber, dass es immer noch viel zu wenige Lieferungen des UN-Welternährungsprogramms und des Flüchtlingshilfswerks gebe, und das, obwohl mehr als 100000 Sudanesen schon seit Monaten im Tschad sind. Alfred Dehotibaye zum Beispiel, der für die internationale Caritas ein großes Lager betreut, sagt, dass sich die Krise von Tag zu Tag zuspitze. "Allein in der vergangenen Woche sind acht Kinder an Erschöpfung, Unterernährung und blutigem Durchfall gestorben."

Und besonders dramatisch ist, dass in spätestens zwei Wochen die Regenzeit beginnt und es für die Hilfstransporte extrem schwierig wird, auf den dann völlig verschlammten Pisten und durch reißende Flüsse in die Lager zu gelangen. Doch bislang läuft die Hilfe nur sehr schleppend an. Es treffen zwar Güter ein, aber oft viel zu spät, und es sind viel zu wenige.

Kriegs-Angst im Tschad wächst

Doch es gibt noch ein anderes, ebenso lebensbedrohliches Problem. Die Janjaweed greifen die sudanesischen Flüchtlinge selbst noch im Nachbarland an, manchmal reiten sie bis zu 25 Kilometer in den Tschad hinein. In der Nähe der Stadt Birak kam es erst vor zwei Wochen zu zwei Angriffen, bei denen den Vertriebenen insgesamt 2000 Rinder gestohlen wurden. Mehrere Menschen wurden getötet. Am Mittwoch vergangener Woche kam es dann zu einem Gefecht zwischen den Armeen beider Länder.

Der Belgier Jan Desmet, Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen", war Augenzeuge, und er erzählt, sudanesische Kampfhubschrauber seien in sehr niedriger Höhe über sein Hospitalzelt gedonnert, um die Grenzstadt Koulbous zu bombardieren. Das Gefecht hat mehrere Stunden gedauert, und dabei wurden neben Kampfhubschraubern auch Boden-Boden-Raketen eingesetzt.

Bei diesem Kampf wurden ein Offizier des Tschad getötet und mehrere Soldaten verletzt. Und da dies nicht das erste Grenzgefecht zwischen den beiden Staaten war, da der Sudan das Nachbarland verdächtigt, die beiden Rebellenorganisationen in Darfur zu unterstützen und zu beherbergen, befürchtet Jan Desmet ebenso wie viele andere Menschen im Tschad, es könnte zum offenen Krieg kommen. "Ich bin erst ein paar Wochen hier", sagt der Arzt, "aber alles, was ich sehe, die Übergriffe der Janjaweed, die Kämpfe, der militärische Aufmarsch an der Grenze, das alles stimmt sehr, sehr pessimistisch."

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