Stuttgarter Koalition:Aufregende Harmonie

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Ministerpräsident Winfried Kretschmann (vorne rechts) und sein Stellvertreter Thomas Strobl halten die Koalition zusammen. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Seit einem Jahr regieren in Baden-Württemberg die Grünen mit den Schwarzen. Trotz mancher Differenzen - sie vertragen sich ganz gut. Jetzt aber rechnet Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit Stress.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Soll die Polizei in Baden-Württemberg in Zukunft wirklich mit Sprengstoff hantieren? Das ist wieder so ein Aufreger, der ein Bündnis zwischen Grünen und Schwarzen zerrütten könnte. Thomas Strobl, der Innenminister, flüchtete bei der Pressekonferenz am Dienstag in einen vagen Exkurs über sein Anti-Terror-Paket, das gerade in der Koalition beraten wird. Es gehe um die Ausstattung von Spezialeinheiten im Kampf gegen verschanzte Schwerstkriminelle, keinesfalls solle die Streifenpolizei Handgranaten tragen. Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident, hörte lächelnd zu. Er habe das Papier noch nicht gelesen, sagte er. Aber man werde sich einigen. Strobl nickte.

Nach diesem Muster funktioniert die grün-schwarze Koalition im Südwesten seit einem Jahr. Auf Durchstechereien und Streit folgt Konsens, hergestellt im Verbund zwischen Ministerpräsident Kretschmann und seinem Stellvertreter Strobl. Bei Grünen wie Schwarzen wird gewürdigt, wie die beiden ideologische Debatten umschiffen und das Bündnis zusammenhalten. Am Dienstag traten die beiden Anführer gemeinsam vor die Presse, um Bilanz zu ziehen nach den ersten zwölf Monaten. Wer wollte, konnte eine Empfehlung Richtung Berlin heraushören: Versucht es doch nach der Bundestagswahl auch miteinander!

Schwarz-Grün? Versucht es doch auch in Berlin miteinander, lautet die versteckte Botschaft

Kretschmann lobte "Vertrauen und ehrliches Miteinander", das Bündnis funktioniere besser als erwartet. Die CDU hatte sich nach dem Fiasko bei der Landtagswahl 2016 nur unter Schmerzen in die Rolle als Juniorpartnerin gefügt. Die Koalition war letztlich das Werk Strobls, der damals seinen Job als stellvertretender Chef der Unionsfraktion in Berlin aufgab. Nun rühmt er Grün-Schwarz als eine "Koalition der Möglichkeiten". Und er wisse, wovon er rede, sagte Strobl, schließlich habe er Koalitionen mit SPD und FDP erlebt.

Schwarz-Grün als Modell für den Bund? So weit will Strobl nicht gehen. "Aber wenn im Herbst von Berlin aus nach Baden-Württemberg oder auch Hessen geschaut wird, und man sieht, das geht dort gut und erfolgreich, habe ich nichts dagegen." Kretschmann gibt auf diese Frage derzeit keine Antwort. Er erwartet zunächst einmal "Stress" für die Koalition durch den Bundestagswahlkampf.

Beziehungsstress konnten die beiden Partner bislang vermeiden, weil die Steuereinnahmen im Boomland Baden-Württemberg sprudeln. So kann die Koalition neue Schulden vermeiden und trotzdem Geld ausgeben, jeder Partner für seine Anliegen. Man kommt einander nicht ins Gehege. Die Grünen stehen für Ökologie, die CDU für innere Sicherheit und Digitalisierung. Beides ist angesiedelt in Strobls Ministerium. Mit seinen Abschiebungen nach Afghanistan hat er die grüne Duldsamkeit allerdings bis an die Grenzen strapaziert.

Kretschmann sei konfliktscheu und lasse der CDU zu viel durchgehen, ist bei den Grünen oft zu hören. Doch der Ministerpräsident findet, dass die eigene Partei durchaus dazulernen kann in Fragen der inneren Sicherheit. Außerdem zögert er nicht, populäre Themen an sich zu reißen. Zu seinem Kernthema hat er, ohne Rücksicht auf das CDU-geführte Wirtschaftsministerium, den Strukturwandel in der Automobilbranche gemacht. Den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes in eine ökologische Zukunft führen - das ist nun wirklich ein grünes Leuchtturmprojekt.

Ernsthafter Streit droht der Koalition in den Monaten bis zur Bundestagswahl vor allem in der Frage von Diesel-Fahrverboten, die vom 1. Januar an in Stuttgart wirksam werden sollen. Die CDU ist den grünen Luftreinhalteplänen widerwillig gefolgt. Falls die Autoindustrie eine halbwegs wirkungsvolle Nachrüstung von alten Diesel-Pkw anbietet, könnte sie schnell abspringen.

Die Opposition sieht nach einem Jahr Grün-Schwarz vor allem Streit und Stillstand. Den Partnern fehle eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft des Landes, kritisieren SPD und FDP immer wieder. Dabei gerät in Vergessenheit, dass Grün-Schwarz nach der Wahl am 13. März 2016 die letzte Möglichkeit einer Regierungsbildung war. Die SPD weigerte sich, an Wahlsieger Kretschmann vorbei eine Koalition mit CDU und FDP zu bilden. Die FDP lehnte, aus welchen Gründen auch immer, Koalitionsverhandlungen mit Grünen und SPD ab. Es drohten Neuwahlen mit der Aussicht, die AfD könnte noch mehr holen als 15 Prozent. Und so bleibt als Verdienst von Grünen und Schwarzen in jedem Fall, dass sie zueinander gefunden haben und zusammengeblieben sind.

Ob die Koalition bis 2021 halten wird? Auf jeden Fall, sagte Strobl am Dienstag. Wieder lächelte Kretschmann. Die Bündnistreue der CDU hängt auch davon ab, ob er, wie angekündigt, wirklich bis zum Ende der Legislaturperiode weitermacht.

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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