Streit um Raketenabwehr:Neue Fronten im Osten

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Weil sich wieder jeder vor jedem fürchtet, rüsten Moskau und Washington erneut auf. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.

Thomas Urban

Die Amerikaner stellen unweit der russischen Grenzen, in Polen und Tschechien, neue Raketensysteme auf. Auch der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko bietet Washington seine Zusammenarbeit an, er will auf keinen Fall mit Russland militärisch kooperieren. Russland wird also immer mehr von den USA und ihren Satrapen eingekreist.

Rivalen, die ihre Armeen aufrüsten: US-Präsident Bush und Russlands starker Mann, Premier Putin. (Foto: Foto: AP)

So lautet zumindest die Bedrohungsanalyse des Kremls. Mit ihr begründen die Moskauer Politiker, dass Russland sich gegen eine mögliche Militäroffensive aus dem Westen wappnen müsse.

Moskau gibt an, keinen anderen Ausweg zu wissen, als selbst neue Waffensysteme zu entwickeln und neue Raketen aufzustellen. Und diese sollen nah an die ehemaligen Verbündeten Polen und Tschechien heranrücken und auf weißrussischem Gebiet, sowie im Bezirk Kaliningrad, im ehemaligen Ostpreußen stationiert werden.

Erinnerungen an den Kalten Krieg

Die Raketen, droht Moskau, sollen auf Warschau und Prag programmiert werden und auch auf das widerborstige Kiew, dessen Präsident mit seinen Bemühungen, das Land in die Nato zu führen, die russischen Nachbarn besonders provoziert. Außerdem denkt der Kreml daran, alte Bündnisse zu reaktivieren und wieder Raketen auf Kuba und in Syrien aufzustellen.

Das alles erinnert an den einstigen Kalten Krieg, nur dass sich die Fronten zum Groll Moskaus nun weiter nach Osten verschoben haben. Die Geschichte wiederholt sich also: Schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als erst die Nato entstand und dann der von Moskau erzwungene Warschauer Pakt, warfen sich der Kreml und das Weiße Haus gegenseitig vor, die Rüstungsspirale anzutreiben. In weite Ferne scheinen mittlerweile die neunziger Jahre gerückt, als die Großmächte energisch abrüsteten, vor allem weil Russland im Zeichen seiner Demokratisierung die westlichen Demokratien nicht mehr als Gegner ansah.

Heute gibt es in keinem westlichen Land - auch nicht unter Amerikas Neokonservativen - eine ernstzunehmende politische Gruppierung, die einem militärischen Kräftemessen mit Moskau das Wort reden würde oder gar Offensivpläne hegt. Dass Moskau unter Wladimir Putin dennoch seinen Militärhaushalt verdreifacht hat, wird in den ehemaligen Ostblockstaaten, die nun der Nato angehören, als direkte Bedrohung verstanden.

Ein neuer Rüstungswettlauf scheint unausweichlich

Gerade Polen und Tschechen verweisen immer wieder auf ihre Erfahrungen, von russischen Truppen besetzt worden zu sein.

Sie erinnern daran, dass die russische Wiederaufrüstung schon begann, lange bevor die Amerikaner Georgien Militärhilfe zukommen ließen und mit den Ukrainern unter Juschtschenko gemeinsame Manöver im Schwarzen Meer veranstalteten. Die rasant wachsenden russischen Rüstungsausgaben nahm wiederum die amerikanische Administration unter George W. Bush dankbar auf, um dem Kongress ebenfalls mehr Mittel für die Rüstung abzuverlangen.

Ein neuer Rüstungswettlauf zwischen der Supermacht USA und Russland, das wieder Supermacht werden will, scheint so unausweichlich - vor dem Hintergrund einer gewaltigen Aufrüstung Chinas.

Jeder sieht sich durch jeden bedroht. Warschau und Prag haben deshalb die Proteste Moskaus gegen den amerikanischen Raketenschild ignoriert. Sie unterstellen dem Kreml im Gegenzug, das polnische und tschechische Sicherheitsbedürfnis nicht zur Kenntnis zu nehmen, weil Moskau sehr wohl wisse, dass das Raketensystem schon aus technischen Gründen nicht gegen Russland gerichtet sein könne.

Prag und Warschau sind überzeugt, dass Moskau nicht aufrüstet, um sich gegen Angriffe zu wappnen. Der Kreml will seine Armee entweder direkt militärisch oder als politisches Druckmittel einsetzen. Deshalb fühlt sich die Mehrheit der Polen und Tschechen auch, so sagen es die jüngsten Umfragen, dank des Abkommens mit den Amerikanern zum Raketenschild sicherer als zuvor.

© SZ vom 21.08.2008/pir/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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