Straßburger Urteil:Rüge für Schweizer Abschiebepraxis

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wirft der Schweiz vor, mit der Abschiebung eines Tamilen ein Menschenrecht verletzt zu haben. Der Mann war nach seiner Rückkehr nach Sri Lanka gefoltert worden.

Von Charlotte Theile, Zürich

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Schweiz in einem am Donnerstag veröffentlichten Urteil gerügt. Das Land hatte im Jahr 2013 einen tamilischen Staatsbürger und seine Familie ausgewiesen. Der Mann hatte 2009 ein Asylgesuch in der Schweiz eingereicht. Nach seiner Rückkehr nach Sri Lanka im August 2013 wurde der Mann fast zwei Jahre lang inhaftiert und misshandelt. Das Gericht in Straßburg befand nun, die Schweiz habe mit ihrer Entscheidung eine Menschenrechtsverletzung begangen, genauer gesagt: Das Folterverbot gemäß Artikel 3 der Menschenrechtskonvention verletzt.

Der Mann hatte in seinem Asylgesuch angegeben, dass er in den Neunzigerjahren in der Separatistenarmee Tamilische Tiger gekämpft hatte und in der Folge inhaftiert und gefoltert worden sei. Ein Gutachten des Gerichtshofs kam zu dem Schluss, dass das Risiko für den Mann falsch eingeschätzt worden war. Damit beziehen sich die Richter in Straßburg direkt auf einen Entscheid des schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts, das in letzter Instanz über die Berufung befunden hatte.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweiz mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Konflikt gerät. Immer wieder hatten die Richter die harte Abschiebepraxis der Schweiz kritisiert und geurteilt, das Land habe die individuelle Situation der Asylbewerber und deren Gefährdung im Heimatland zu wenig berücksichtigt. Diese Entscheide verärgern besonders die rechtskonservative Schweizerischen Volkspartei (SVP). 2015 hat die Partei eine Initiative auf den Weg gebracht, die in letzter Konsequenz sogar zum Austritt der Schweiz aus der Europäischen Menschenrechtskonvention führen könnte. Sie trägt den Titel "Schweizer Recht statt fremde Richter" und sieht vor, dass das Landesrecht künftig zwingend über dem Völkerrecht steht. Die völkerrechtlichen Verträge des Landes stünden damit unter Vorbehalt. Die nötigen 100 000 Unterschriften hat der Vorstoß bereits zusammen, sodass die Schweizer vermutlich im Laufe des Jahres über die Gesetzesänderung befinden werden. Vor kurzem hatte die Schweiz dagegen Rückendeckung aus Straßburg erhalten: Anfang Januar befanden die Richter, dass es zulässig sei, muslimische Mädchen zum Schwimmunterricht zu verpflichten. Das Schicksal der tamilischen Staatsbürger hatte schon vor dem Urteil Folgen für die schweizerische Abschiebepraxis: Im September 2013 wurden Ausweisungen nach Sri Lanka ausgesetzt.

© SZ vom 27.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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