Sterben:Das Recht auf ein Ende

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Es gibt Menschen, die mit einer schweren Krankheit nicht länger zurechtkommen. Für sie ist das Leben überhaupt kein Geschenk mehr - vielmehr ist es ihnen nur noch Elend und stetige Qual. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht eine Entscheidung getroffen, die für sie eine große Erleichterung bedeutet.

Von Christina Berndt

Man muss nicht an Gott glauben, um das Leben als Geschenk zu empfinden; trotz aller Herausforderungen und Krisen, die es bereithält. Die meisten Menschen hängen denn auch am Leben. Sogar in Situationen, die sie womöglich einst selbst als so furchtbar einschätzten, dass sie sagten: Dann wäre ich lieber tot. So möchten selbst Patienten mit einem Locked-in-Syndrom, die also nur noch ihre Augenlider bewegen können, weiterleben. In Studien berichten sie im Durchschnitt von einer ebenso großen Zufriedenheit wie Gesunde.

Doch "im Durchschnitt" bedeutet nun einmal: Es gibt auch Menschen, die mit einer schweren Krankheit eben nicht zurechtkommen. Die sich auch nach einer Phase der Trauer und des Abschiednehmens von ihrer früheren Art zu leben nicht an die neue Situation gewöhnen können. Die unerträgliche Schmerzen haben und ihr Leben daher nicht mehr als Geschenk empfinden, sondern als stetige Qual. Für diese Menschen und für alle, die mit ihnen leiden, bedeutet es eine enorme Erleichterung, dass das Bundesverwaltungsgericht nun für den "extremen Einzelfall" das Recht auf eine schmerzlose Selbsttötung festgestellt hat.

Wenn sich ein Mensch das Leben nimmt, ist das furchtbar traurig. Meist könnten Therapeuten, Seelsorger, eine hochwertige medizinische und pflegerische Versorgung und ein verlässliches soziales Netz Menschen vor einem Suizid bewahren; und es muss das Ziel jeder Gesellschaft sein, Kranke willkommen zu heißen, ihnen Hilfe anzubieten und Wege aufzuzeigen, wenn alles ausweglos erscheint. Ein Suizid ist niemals heroisch, er entsteht immer aus einer Hilflosigkeit.

Aber manchmal, in den wenigen Extremsituationen, die das Bundesverwaltungsgericht aufgezeigt hat, gibt es eben keine Hilfe mehr. Dann lässt sich das Leid nicht lindern und die Freude nicht einmal für Augenblicke zurückgewinnen, auch wenn manche Palliativmediziner unablässig anderes behaupten. Dann lässt sich die Situation nicht mit der eigenen Vorstellung von Würde und Selbstbestimmung in Einklang bringen, die tief in der Persönlichkeit verankert ist. Das, was vom Geschenk des Lebens übrig bleibt, ist dann trotz aller Unterstützung nur noch Elend.

Der Staat hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben all seiner Bürger zu schützen. Das ist gut - nicht gut ist jedoch, dass diese paternalistische Haltung bisher keine Ausnahme zuließ und auch extrem Leidenden der Zugang zu tödlichen Mitteln verwehrt blieb. So ist aus dem Recht auf Leben eine Pflicht zum Leben geworden, der sich Menschen nur durch radikale Schritte entziehen können. Wenn sie nicht von Berufs wegen Zugang zu Arzneien haben, die einen sanften Tod ermöglichen, dann springen sie aus dem Fenster, werfen sich vor Züge oder nehmen Tabletten, deren Folgen schwer kalkulierbar sind. Das verleiht dem Suizid zusätzlichen Schrecken.

So kehrt sich der paternalistische Schutz der unheilbar Kranken um in Schutzlosigkeit. Der Staat wird dann zum überstrengen Vater, der starr an seinen Prinzipien festhält und verkennt, dass besondere Situationen besondere Maßnahmen erfordern. Wann Leid trotz aller Hilfeangebote unerträglich wird, kann nur der Kranke selbst entscheiden. Und wenn er bei klarem Verstand und gesunder Seele frei zu dem Schluss kommt, dass es für ihn keine Linderung gibt, dann gebietet es die Menschenliebe, seine Entscheidung zu respektieren und ihm eine würdige Umsetzung zu ermöglichen. Dazu gehört der Zugang zu einer Medizin, mit der er sein Leben schmerzlos beenden kann.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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