Statistik:Die gefühlte Gewalt

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Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: An einzelnen Schulen mag es eine Zunahme geben, insgesamt aber geht die Gewalt zurück. Nur ein kleiner harter Kern ist für Schlägereien an der Schule verantwortlich. Alles nur eine "hysterische Debatte"?

Tanjev Schultz

Immer wieder erschüttern Nachrichten über Schulgewalt und Vandalismus die Öffentlichkeit. Diese Berichte lassen jedoch noch keinen Schluss darüber zu, ob es sich um schlimme Einzelfälle oder um einen allgemeinen Trend handelt.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz warnte nach dem Hilfsappell Berliner Lehrer vor einer "hysterischen Debatte". Wissenschaftler betonen, dass sie in den vergangenen Jahren keine Zunahme von Gewalt an deutschen Schulen beobachten.

Zwischen 1993 und 2003 ist die Zahl so genannter Raufunfälle an den Schulen zurückgegangen (Grafik). Als "Raufunfälle" registriert der Bundesverband der Unfallkassen Ereignisse, bei denen ein Schüler nach einer Prügelei vom Arzt behandelt werden muss.

Auf 1000 Schüler gerechnet, kam es 2003 zu elf Raufunfällen - zehn Jahre zuvor lag die Quote noch bei 15,5. Die meisten schweren Prügeleien gibt es an Hauptschulen (40 Prozent aller Fälle). Doch gerade dort gehen die Zahlen besonders deutlich zurück.

Verbale Angriffe verbreitet, Schlägereien eher selten

Eine Langzeitstudie an bayerischen Schulen bestätigt diesen Trend. "An einzelnen Schulen mag es eine Zunahme geben, insgesamt aber geht die Gewalt zurück", sagt Jens Luedtke, Soziologe an der Katholischen Universität Eichstätt. Sein Forschungsteam hat 1994, 1999 und 2004 jeweils zwischen 3500 und 4500 bayerische Schüler befragt. Demnach sind verbale Angriffe verbreitet, Schlägereien eher selten und seit Mitte der neunziger Jahre noch seltener geworden.

"Die Vorstellung, wonach Gewalt an Schulen immer häufiger und immer brutaler auftrete, muss zurückgewiesen werden", heißt es in der Studie. Allerdings gebe es einen "kleinen harten Kern" von Schülern, die für einen Großteil der Gewalt verantwortlich seien. In Bayern zählen zwei Prozent aller Schüler zu dieser Problemgruppe, andere Studien rechnen bundesweit mit bis zu acht Prozent.

"Sicher gibt es Schulen, um die man lieber einen großen Bogen machen möchte", sagt Luedtke. Doch seien auch Gewaltakte gegen Lehrer insgesamt rückläufig. Nach einer neuen, noch unveröffentlichten Auswertung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, ist der Anteil an Schülern, die Lehrer oder das Eigentum von Lehrern angreifen, um knapp ein Drittel von 10,7 (1994) auf 7,1 Prozent (2004) gesunken.

Mädchen sind seltener gewalttätig als Jungen

Luedtke hält diese Entwicklung für eine mögliche Folge verstärkter Präventionsarbeit. Die Sensibilität für das Thema sei seit Beginn der neunziger Jahre gewachsen. "Man darf jetzt die Prävention nicht zurückfahren, auch nicht an den Schulen, die wenig auffällig sind", mahnt der Soziologe.

Aus der Forschung weiß man inzwischen aber auch, wo besondere Probleme liegen. In den bisherigen Studien über Gewalt an den Schulen zeigt sich:

Die Täter sind oft selbst Opfer. Das gilt nicht nur für den Schulhof, sondern auch für Gewalt in der Familie: Wer daheim geschlagen wird, ist mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst gewalttätig.

Mädchen sind deutlich seltener gewalttätig als Jungs.

Körperliche Gewalt ist viel weniger verbreitet als verbale Angriffe und Hänseleien. Die Münchner Entwicklungspsychologin Mechthild Schäfer schätzt, dass etwa jedes 25. Kind Opfer dauerhaften Mobbings seiner Mitschüler ist.

Mit steigendem Bildungsniveau nimmt die Gewalt ab. Gymnasiasten sind wesentlich seltener gewalttätig als Haupt- und Sonderschüler. Am kritischsten ist das Alter zwischen 13 und 16 Jahren. In dieser Gruppe sind Konflikte besonders häufig.

Migrantenkinder generell nicht gewalttätiger

Als besondere Problemgruppe an deutschen Schulen erscheinen Kinder von Migranten. Es stimmt jedoch nicht, dass diese Jugendlichen generell gewalttätiger wären.

Die Studie der Unfallkassen belegt, dass ausländische Kinder unterdurchschnittlich oft in "Raufunfälle" verwickelt sind. Die Analysen der Eichstätter Gewaltforscher wiederum zeigen, dass die Schulgewalt unter Migrantenkindern zwar höher ist, dies aber weit gehend durch Merkmale wie Geschlecht, Alter und Schulart relativiert wird.

Dies bestätigen auch Studien des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN). Dort sehen die Wissenschaftler eher einen Zusammenhang zwischen intensivem Medienkonsum und hoher Gewaltneigung. Medienforscher warnen jedoch davor, die Gewaltbereitschaft von Schülern auf eine einzige Ursache zurückzuführen.

© SZ vom 01.04.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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