Staatschef schwört auf neuen Kurs ein:Chirac für EU-Beitritt der Türkei

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Frankreichs Präsident muss nicht nur seine eigene Partei von einer Aufnahme der Türkei in die Union überzeugen, sondern auch die Mehrheit der Franzosen.

Von Gerd Kröncke

In seiner mit Spannung erwarteten Pressekonferenz hat Jacques Chirac am Donnerstag eine neue Vorgabe für den künftigen Türkei-Kurs seiner Regierung gegeben. Im Gegensatz zu den bisherigen Verlautbarungen führender Mitglieder seiner Partei lobte Chirac die "europäische Berufung" der Türkei, nachdem noch vor wenigen Wochen der Vorsitzende der Präsidentenpartei UMP, Alain Juppé, davon gesprochen hatte, dass die Europäische Union "entstellt" werde, wenn auch die Türkei Aufnahme fände.

Wer indes vermutete, der alte Chirac-Vertraute Juppé spräche für den Präsidenten, der sah sich getäuscht. Chirac hält einen Beitritt der Türkei zur EU zumindest langfristig für wünschenswert.

Chirac will Franzosen für EU-Erweiterung begeistern

Es war die erste Pressekonferenz, die der vor zwei Jahren wiedergewählte Chirac in dieser Amtsperiode gab. Seit 1998 hatte er sich darauf beschränkt, ausgesuchte Journalisten zu Interview zu bitten. Sein Vorgänger, Charles de Gaulle, der Gründer der Fünften Republik, hatte seine Pressekonferenzen dazu benutzt, sich direkt an das französische Volk zu wenden. Auch Chirac hatte am Donnerstag die französischen Wähler im Visier, die er unmittelbar vor der EU-Erweiterung für Europa begeistern wollte.

Gleichwohl ließ er sich auf Fragen nach der Türkei ein und stellte sich in einen klaren Gegensatz zu seiner eigenen Partei. Angesichts einer schwachen Regierung mit einem schwachen Regierungschef an der Spitze machte Chirac damit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch, die sich vor allem auf die Außen- und Verteidigungspolitik bezieht.

"Zusammenstoß der Zivilisationen"

Indirekt auch auf Juppé eingehend, betonte Chirac, dass seine "tiefe Überzeugung" nicht von allen geteilt werde. Chirac ließ keinen Zweifel daran, dass einem möglichen EU-Beitritt der Türkei "lange und schwierige Gespräche" vorausgehen würden. Andererseits beschwor er die Gefahr eines "Zusammenstoßes der Zivilisationen", sollte die Türkei trotz aller Anstrengungen ausgeschlossen bleiben. Zunächst wird die EU-Kommission im Oktober darüber berichten, ob die Türkei die Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erfüllt. Sollte dies der Fall sein, werden die Staats- und Regierungschefs im Dezember die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen beschließen.

Chirac näherte sich mit seinen Äußerungen vom Donnerstag der Haltung von Gerhard Schröder an. Allerdings sind nach Meinungsumfragen die Franzosen in ihren großen Mehrheit gegen den Beitritt. Und die eigene Regierung muss Chirac auch noch überzeugen. Selbst sein jüngst ernannter Außenminister Michel Barnier hatte sich mehr als skeptisch geäußert. Ebenso wie Chiracs Vorgänger im Elysée-Palast, Valéry Giscard d'Estaing, der schon vor geraumer Zeit zu dem Schluss gekommen war: "Die Türkei ist kein europäisches Land."

(SZ vom 30.4.)

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