Staatsbesuch in Rumänien:Gauck warnt vor neuen Grenzen in Europa

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"Intellektueller Isolationismus und moralischer Autismus": Der Bundespräsident mahnt die EU zum konstruktiven Dialog.

Von Nico Fried, Bukarest

Bundespräsident Joachim Gauck hat vor einem Europa der Rechthaberei gewarnt. "Wir müssen wieder lernen, an die intellektuelle und moralische Tradition des argumentativen Disputs anzuknüpfen", sagte Gauck in einer Rede in der Rumänischen Nationalbibliothek in Bukarest. Er warnte vor einer zunehmenden Abschottung unterschiedlicher Milieus, zwischen denen es keinen Austausch mehr gebe, und vor einem Rückzug in den Nationalismus, der die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte gefährden könne.

Zugleich benannte Gauck aber auch politische Notwendigkeiten für ein besseres Gemeinschaftsgefühl in Europa: "Niemand darf den Eindruck haben, es gäbe in Europa Meister und Lehrlinge", sagte der Bundespräsident. Wer der Gemeinschaft beigetreten sei, wirke gleichberechtigt an ihrer weiteren Entwicklung mit. Vor allem kleinere und osteuropäische Staaten hatten sich zuletzt gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung gewandt und darin eine Bevormundung gesehen. Offenbar mit Blick auf die Weigerung einzelner Staaten, sich zumindest an den Kosten der Flüchtlingsversorgung zu beteiligen, sagte Gauck, es gelte für jedes Mitglied auch, "dass es vom Konto der Gemeinschaft nur abheben kann, wenn es auch selber bereit ist, nach seinen Möglichkeiten auf dieses Konto einzuzahlen".

Der Diskurs über Europa werde dadurch behindert, dass sich "immer mehr Zeitgenossen in voneinander abgeschlossenen Meinungsmilieus bewegen", sagte Gauck. Die Folgen seien "intellektueller Isolationismus und moralischer Autismus". Der Bundespräsident plädierte für eine Rückbesinnung auf die Werte der Aufklärung. Der europäische Geist sei "der Geist der Vernunft", seine Voraussetzungen seien Freiheit und Wahrhaftigkeit.

Gauck äußerte zwar Verständnis für das Bedürfnis von Menschen nach einer "überschaubaren, Geborgenheit schenkenden Heimat, einer Gemeinschaft, der sie sich zugehörig fühlen können". Zugleich dürfe die Überwindung des Nationalismus, die dem gemeinsamen Europa Frieden in Freiheit gebracht habe, nicht aufs Spiel gesetzt werden. Mit Blick auf neuen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Aggressivität mahnte Gauck: "Wie absurd und zerstörerisch wäre es, wenn die eine große Grenze durch Europa, die wir vor einem Vierteljahrhundert gemeinsam glücklich überwunden haben, nun durch viele neue Grenzen abgelöst würde."

Gauck hält sich zu einem dreitägigen Besuch in Rumänien auf. Am Dienstag reiste er nach Hermannstadt, einst Zentrum der Siebenbürger Sachsen. Er würdigte, dass es zwischen der deutschen Minderheit und anderen Ethnien in Rumänien keine Konflikte gebe: "Dieses schöne Miteinander, das möchte ich, dass das unser Eindruck von Europa ist."

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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