Srebrenica-Urteil:"Das ist keine Gerechtigkeit"

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Enttäuschung bei vielen Opferfamilien: Ein Gericht in Den Haag sieht nur eine Teilschuld der Niederlande für den Tod von 350 Muslimen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

"Mütter von Srebrenica" in Den Haag: Angehörige der vor 22 Jahren getöteten Bosnier hatten die Klage angestrengt und Berufung eingelegt. (Foto: Remko de Waal/AFP)

Mehr als 20 Jahre nach dem Völkermord im bosnischen Srebrenica hat ein Gericht den niederländischen Staat für den Tod von etwa 350 Muslimen mitverantwortlich gemacht. Die niederländische UN-Truppe Dutchbat hätte diese Flüchtlinge besser schützen müssen, stellte das Zivilgericht am Dienstag in Den Haag in der Berufung fest. Deshalb sei der Staat zum Teil haftbar. Damit bestätigte das Gericht das Urteil der ersten Instanz aus dem Jahr 2014. Es hatte international Rechtsgeschichte geschrieben, weil darin erstmals der Heimatstaat einer UN-Truppe für Kriegsverbrechen Dritter mitverantwortlich gemacht wurde.

Allerdings schränkte das Berufungsgericht die Haftung des Staates nun deutlich ein. Einige der bosnischen Klägerinnen, die nach Den Haag gereist waren, reagierten enttäuscht. "Das ist keine Gerechtigkeit", rief eine Frau im Gericht.

Im Bosnien-Krieg hatten bosnisch-serbische Einheiten unter dem Kommando von General Ratko Mladić im Juli 1995 die UN-Schutzzone Srebrenica überrannt. Die niederländischen Blauhelme, die die Zehntausenden Flüchtlinge schützen sollten, hatten die Enklave kampflos übergeben. Anschließend hatten die Serben etwa 8000 muslimische Männer und Jungen ermordet.

Srebrenica gilt als erster Völkermord auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Angehörigen von etwa 6000 Opfern, die "Mütter von Srebrenica", hatten die Zivilklage gegen die Niederlande angestrengt und Berufung gegen das erste Urteil eingelegt. Nach ihrer Ansicht war Dutchbat auch für den Tod der Tausenden übrigen Männer und Jungen mitverantwortlich. Dies aber wies das Gericht ab. Die UN-Soldaten hatten den Serben beim Abtransport von Zehntausenden Flüchtlingen aus Srebrenica geholfen, erkannte das Gericht. Doch auch ohne diese Unterstützung wären die Männer deportiert worden.

Das galt allerdings nicht für etwa 350 Männer, die sich direkt auf dem Gelände des UN-Hauptquartiers befanden. Dutchbat hatte diese Männer weggeschickt und damit an die Serben ausgeliefert, obwohl es genug Anzeichen für Massenerschießungen gab. Das war unrechtmäßig, sagte die Vorsitzende Richterin Gepke Dulek. "Damit wurde den Männern die Chance auf Überleben genommen." In der ersten Instanz hatte das Gericht den Staat noch für voll haftbar erklärt. Das Berufungsgericht begrenzte das nun auf 30 Prozent, ohne Details zu nennen. Die Höhe der finanziellen Entschädigung für die Angehörigen steht noch nicht fest. Strafrechtlich muss sich für den Völkermord von Srebrenica noch Ex-General Mladić in Den Haag vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal verantworten. Ende 2017 wird das Urteil erwartet. Als politisch Verantwortlicher ist Ex-Serbenführer Radovan Karadžić bereits zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Der Kommandant des Durchbat, Tom Karremans, wurde von Mladić damals gezielt gedemütigt. "Ein Dreck bist du. Ich bin hier der Gott", hatte der Serbe gesagt. Er verbot den Blauhelmen jegliches Einschreiten, als die Muslime abtransportiert wurden. Eine Fotografie vom 12. Juli 1995 zeigt die beiden nebeneinander, ein Sektglas in der Hand. Es ging als Sinnbild der Schande um die Welt. Karremans verteidigte sich später, das Glas habe nur Wasser enthalten und sei ihm aufgenötigt worden. Zu seiner Entlastung wurde auch vorgebracht, dass seine Truppe kaum bewaffnet war, einer entschlossenen Übermacht gegenüber stand und keinerlei Unterstützung erhielt. Klar ist aber auch, dass Dutchbat die Anweisung des niederländischen Verteidigungsministeriums ignorierte, möglichst viele Menschen zu retten.

Karremans wurde nach dem Krieg noch befördert, fiel dann in Ungnade und setzte sich nach Spanien ab, wo er noch immer lebt. 2006 wurde er rehabilitiert und erhielt einen Orden. Umso schärfer wurde die Armeeführung kritisiert. Entsprechende Aussagen in einem Untersuchungsbericht führten später sogar zum Rücktritt der Regierung. Etwa 200 Mitglieder der Blauhelmtruppe fordern inzwischen selbst Entschädigung für ihren Einsatz in Bosnien. Seinen 206 Mandanten entstünden dadurch noch immer "Nachteile in allen Lebensbereichen", sagte ein Anwalt. Sie verlangten eine Entschädigung von jeweils 22 000 Euro, insgesamt 4,5 Millionen Euro.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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