Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg:Vier Symbolfiguren und ein großes Team

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Eigentlich gibt es in Baden-Württemberg keine Spitzenkandidaten, da das Wahlrecht keine Landesliste kennt. Mit einer Stimme werden Kandidat und Wahlkreisbewerber zugleich gewählt. Dennoch haben die großen Parteien ein Zugpferd bestimmt - bis auf die WASG.

bosw

Die CDU hat ein knappes Jahr vor der Wahl die Pferde gewechselt: Nach 14 Jahren übergab Erwin Teufel im April 2005 das Amt des Ministerpräsidenten an den langjährigen Fraktionsvorsitzenden Günther Oettinger. Vorausgegangen war eine anderthalbjährige innerparteiliche Auseinandersetzung: Wann sollte Teufel abreten, unter welchen Umständen und wie geht der Kampf um die Nachfolge aus?

Seit knapp einem Jahr im Amt: Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) (Foto: Foto: dpa)

Neben Oettinger kandidierte auch die von Teufel favorisierte Kultusministerin Annette Schavan. Die Partei rief zur Urwahl, die klar zugunsten Oettingers ausging, nicht zuletzt weil der Jurist in der Südwest-CDU auf ein perfektes Netzwerk zurückgreifen kann.

Obwohl nun auch innerparteilich demokratisch legitimiert, musste sich der neue Regierungschef den Vorwurf gefallen lassen, ein "Königsmörder" zu sein.

Fachlich gilt Oettinger als exzellenter, pragmatisch orientierter Allrounder mit Detailwissen, dem kaum ein Bereich der Landespolitik fremd ist. Seine Schwerpunkte liegen in der Wirtschaft-, Finanz-, Haushalts- und und Medienpolitik. Er gilt als Technokrat und ist im Gegensatz zu Teufel kein volksnaher "Menschenfänger". Die Landesvater-Rolle wird Oettinger wohl nie annähernd so gut ausfüllen können wie sein Vorgänger. Dazu fehlt es ihm eindeutig an Volksnähe, was sich auch in vergleichsweise bescheidenen persönlichen Umfragewerten niederschlägt.

Allerdings hat Oettinger seine Beliebtheit in den vergangenen Wochen deutlich steigern können. Laut einer SWR-Umfrage 46 Prozent der Baden-Württemberger sich für den CDU-Politiker aus Ditzingen entscheiden, wenn sie den Ministerpräsidenten direkt bestimmen könnten. Dies sind sieben Prozentpunkte mehr als noch Anfang Februar.

Für Herausfordererin Ute Vogt würden bei einer Direktwahl derzeit 36 Prozent stimmen, drei Prozent mehr als bei der letzten Umfrage. Vogt tritt zum zweiten Mal nach 2001 als SPD-Spitzenkandidatin an. Damals erzielte sie mit 33,3 Prozent das beste sozialdemokratische Ergebnis seit 1976, errang aufgrund des komplizierten Wahlsystems aber kein Mandat. Deswegen stellte sich die Frage nach einem Wechsel von Berlin nach Bonn nicht.

Vogt konnte so Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag bleiben. In der Bundespolitik machte die Pforzheimer Juristin weiter Karriere: Nach der Bundestagswahl 2002 wurde sie parlamentarische Staatssekretärin im Innenministerium, im November 2003 zu einer der fünf stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden gewählt. In dieser Eigenschaft trug sie zum Rücktritt von Parteichef Franz Müntefering bei, weil sie die Kandidatur von Andrea Nahles zur Generalsekretärin unterstützte. Das brachte ihr heftige Kritik und ein mageres Ergebnis bei ihrer Wiederwahl zur SPD-Vize ein.

Mit dem Wechsel in die Landespolitik will sie dieses Mal Ernst machen: Zur Bundestagswahl 2005 trat sie nicht mehr an, um sich ganz auf Baden-Württemberg zu konzentrieren. Dort ist sie seit 1999 SPD-Vorsitzende.

Die FDP schickt Justizminister Ulrich Goll als Spitzenkandidaten ins Rennen. Vor zwei Jahren kehrte der Jurist in dieses Amt zurück, das er bereits von 1996 bis 2002 innehatte. Dann zog er sich auf eigenen Wunsch aus der Politik zurück, um in einer auf Insolvenzrecht spezialisierten Kanzlei zu arbeiten. Als im Sommer 2004 seine Nachfolgerin Corinna Werwigk-Hertneck zurücktreten musste, die FDP-Wirtschaftsminister Walter Döring über staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ihn ermittelte, konnten die Liberalen Goll für eine Rückkehr gewinnen.

Der 55-Jährige gilt über Parteigrenzen hinweg als Fachmann. Falls es zur Neuauflage der schwarz-gelben Koalition kommt, dürfte er wieder Justizminister werden.

Goll ist ein verbindlicher Politiker, der nicht zu marktschreierischen Parolen neigt und sich schwer kategorisieren lässt. Als Jura-Student in Freiburg war Goll noch SPD-Mitglied und zählte zu den linksliberalen Spät-68ern. Als Justizminister machte er sich einerseits für eine Ausweitung der Sicherungsverwahrung stark, kämpfte aber auch für Methadon-Programme für Dorgensüchtige.

Ein Kabinettskollege charakterisiert ihn als "so etwas wie der akademische und vergeistigte Flügel der Regierungsbank". Anderen ist Goll dagegen zu zurückhaltend, zu leise und zeigt zu wenig eigenes Profil - besonders in der Debatte um den Gesprächsleitfaden für einbürgerungswillige Ausländer.

Für die Grünen tritt Landtagsfraktionschef Winfried Kretschmann als Spitzenkandidat an. Der Abgeordnete aus Nürtingen ist für grüne Verhältnisse ein eher wertkonservativer Politiker. Zwischen CDU und Grünen bestehen für ihn keine kulturellen Unterschiede mehr und mit Ministerpräsident Oettinger ist er seit 15 Jahren per Du. Kretschmann gilt als Anhänger von Schwarz-Grün auch auf Landesebene, sieht diese Option nach Oettingers Äußerungen zum Atomausstieg und zum Muslim-Test "in weite Ferne rücken."

Der 57-Jährige kann auf Erfahrungen in ganz verschiedenen Positionen zurückblicken. Der Ethiklehrer und Vater von drei Kindern wurde Ende 2000 als erster Grüner in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gewählt und gehört zudem dem Diözesanrat des Erzbistums Freiburg an. Gerne ergreift er bei grundsätzlichen Themen das Wort. Dann gehört dem rhetorisch begabten Grünen-Politiker die ungeteilte Aufmerksamkeit quer durch alle Fraktionen.

Die WASG hat keinen Spitzenkandidaten, sondern ein sechsköpfiges "Kompetenzteam": Der 26-jährige VWL-Student Damian Ludewig ist für Jugend, Hochschule und Umwelt zuständig. Die Einzelhandelskauffrau Gudrun Koch (44) ist Mannheimer Stadträtin und hat die Schwerpunkte Familie und Soziales. Wilfried Telkämper saß zwölf Jahre für die Grünen im Europa-Parlament. Der 52-jährige Bildungsmanager kümmert sich im Wahlteam um die Bereiche Europa, Bildung, Verkehr.

Roland Hamm (49) ist IG Metall-Funktionär, war 31 Jahre lang SPD-Mitglied. Ihm obliegen in der baden-württembergischen WASG die Bereiche Arbeitsmarkt und Gesundheit. Der 63-jährige Ingenieur Franz Groll gehörte von 1963 bis 1988 der CDU und von 2002 bis Februar 2004 den Grünen an. Seine Schwerpunkte sind Wirtschaft und Finanzen. Das Team komplettiert Brigitte Ostmeyer (53). Die Informatikerin war IBM-Betriebsrätin und vier Jahre lang Grünen-Mitglied. 2002 trat sie attac bei. Sie vertritt in der WASG die Bereiche Frauen/Geschlechter, Demokratie und Frieden.

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