Spenden-Nation Deutschland:Liebe deinen Fernsten

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Ja, die Deutschen lassen sich rühren. Sie gehören zu den spendenfreudigsten Nationen der Welt. Aber das ist das Vertrackte am Gutgemeinten: Es macht nun mal nicht automatisch alles gut.

Matthias Drobinski

Jens Lehmanns Spickzettel lindert nun das Leid der Welt. Eine Million Euro zahlte der Energieversorger EnBW für jenes schweißgetränkte Stück Papier, auf dem der Nationaltorhüter nachschaute, in welche Ecke welcher argentinische Elfmeterschütze den Ball tritt.

Ein schöner Termin für Utz Claassen, den EnBW-Chef, am Samstag zur besten Sendezeit in der ZDF-Gala "Ein Herz für Kinder", eine Aktion, hinter der wiederum die Bild-Zeitung steht.

Sonst muss der Mann erklären, warum der Strom schon wieder teurer wird - PR-technisch ist dies wahrscheinlich die bestinvestierte Million des Jahres. Aber wer will meckern, wenn am Ende des Abends zwischen Show und Rührung mehr als 9,2 Millionen Euro für Kinder in Afrika, Südamerika, Europa zusammenkommen?

Das Spenden und Helfen geht seine eigenen Wege

Ja, die Deutschen lassen sich rühren, und das ist erst einmal gut so. Sie sind nicht so hartherzig, wie sie selber denken, sie gehören zu den spendenfreudigsten Nationen der Welt. Sie geben bis zu fünf Milliarden Euro im Jahr aus, damit professionelle Helfer Gutes tun.

Sie tun das ungeachtet der hohen Arbeitslosenquote und der sinkenden Löhne; die Zahl der wohltätigen Organisationen, die um Spenden werben, steig. Als vor zwei Jahren der Tsunami in Südostasien wütete, gingen 670 Millionen Euro ein. Nur die US-Amerikaner gaben mehr.

Aber das ist das Vertrackte am Gutgemeinten: Es macht nun mal nicht automatisch alles gut. Das Spenden und Helfen geht seine eigenen Wege; es sind die Wege der reichen Welt, der Mediengesellschaften.

Gutes tun ist zu einem eigenen Wirtschaftszweig geworden, auch wenn das keiner gerne sagt, schon gar nicht zum Weihnachtsfest. Der deutsche Spendenmarkt gilt als unvollständig erschlossen, so drängen vor allem Organisationen aus den Vereinigten Staaten mit einigem Werbeaufwand ins Land.

Das Mitleid und seine Gesetze

Dadurch wächst auch bei den etablierten Werken die Sorge, im Konkurrenzkampf unterzugehen: Wer zu langweilig, zu politisch daherkommt, droht genauso leer auszugehen wie einer, der von mühsamen Strukturveränderungen redet, statt von einer schnellen Überweisung. Die Zeiten sind vorbei, in den Katholiken lebenslang für Misereor spendeten, Protestanten für ,,Brot für die Welt'' und der Rest fürs Rote Kreuz. Das Herz des Wohltäters will jedes Jahr neu gewonnen werden.

Und auch das Mitleid hat seine Gesetze, seine Mechanismen und Hierarchien; wer sagt, er sei frei davon, lügt sich meist selber in die Tasche. Kurz nach dem Tsunami bebte in Pakistan die Erde, und die Spenden blieben weitgehend aus:

Keine Kamera war dabei, als die Häuser einstürzten, kein erschütterter Urlauber telefonierte nach Hause, und dort gab es keinen aufgeregten Nachbarn, der erzählen konnte: Da wäre ich fast auch mal hingefahren! Und war dort oben in den Bergen nicht das Rückzugsgebiet der Taliban?

Mitleid ist immer eine Spiegelung des Selbst: Je mehr der Mitleidende im Leidenden seine eigenen Züge, seine eigenen Ängste und Sehnsüchte erkennt, desto größer wird seine Emphase sein - ein Nachteil für alle Schwarzafrikaner und für die Flüchtlingshilfe in Deutschland.

Mitleid ist zudem flüchtig: Es rührt am ersten Tag zu Tränen und treibt am zweiten zur Banküberweisung, doch sich auch nach einem Monat noch fremdes Leid zu vergegenwärtigen ist die Sache einer Minderheit - schlecht für alle Projekte jenseits der medienwirksam geleisteten Katastrophenhilfe.

Fernsehgerecht hereinbrechende Katastrophen

So spenden die reichen Bewohner der Welt so viel Geld wie noch nie - 2005 fast 13 Milliarden Euro. Und gleichzeitig gibt es so viele vergessene Katastrophen wie nie: das Flüchtlingselend im Sudan und die Hungersnot im Niger, das Massensterben durch Aids, Malaria oder einfach durch verseuchtes Trinkwasser; Tragödien, die in der Hierarchie des Mitleids ganz unten bleiben. Die Hilfsorganisationen wissen das.

Rudolf Seiters, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, hat dies stellvertretend für viele seiner Mitstreiter beklagt und um zweckungebundene Spenden geworben. Ein berechtigtes Anliegen. Aber selbstverständlich wird das Rote Kreuz - wie die anderen Helfer auch - bei der nächsten fernsehgerecht hereinbrechenden Katastrophe sich auf den Weg ins Krisengebiet machen. Denn wer nicht mitgeht, ist bald raus aus dem Geschäft.

Deutsche müssen helfen lernen

Ja, die Deutschen spenden viel, und darauf können sie stolz sein, sollen sie stolz sein. Aber sie müssen, wie der reiche Westen insgesamt, noch helfen lernen. ,,Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst'', hat Jesus gesagt, und als die Jünger fragten, wer dieser Nächste sei, das Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt, dem der Fernste, der Feind, der Unterste in der Hierarchie des Mitleids, zum Nächsten wird.

Der Philosoph Hans Jonas hat dies 2000 Jahre später die ,,Ethik der Fernstenliebe'' genannt. Der Fremde ist dein Nächster - das ist der entscheidende zivilisatorische Fortschritt gegenüber allen Stammesethiken, die nur das eigene Mitglied, den eigenen Glaubensbruder im Blick haben.

Das ist realistischerweise nicht jede Stunde des Jahres durchzuhalten - aber Weihnachten ist eine gute Gelegenheit. Eine so verstandene Spende darf ruhig in einer TV-Show akquiriert werden und das übers Jahr angewachsene schlechte Gewissen beruhigen. So viel Egoismus darf schon sein.

© SZ vom 19. 12. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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