SPD-Wahlprogramm:Im Zweifel für den Kandidaten

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Frank-Walter Steinmeier hat sich in der SPD Respekt erarbeitet. Doch auch bei der Vorstellung des Wahlprogramms warten alle vergebens auf einen magischen Moment.

Susanne Höll, Berlin

Sie feiern ihn, noch bevor er überhaupt ein Wort gesagt hat. Mehr als 2000 SPD-Mitglieder beklatschen Frank-Walter Steinmeier, als er, begleitet von seiner Frau, die rotumrandete Bühne des Berliner Tempodroms besteigt, jenes Veranstaltungsorts, an dem sich an anderen Tagen die Pet Shop Boys präsentieren, chinesische Akrobaten oder Spaßmacher wie Atze Schröder. "Hier gibt es nicht mal Kaffee und Kuchen", sagt Steinmeier dann zur Eröffnung. "Das lässt nur einen Schluss zu: Sie hier im Saal wollen, dass wir regieren. Das will ich auch." Beifall. "Wir wollen gute Politik machen." Beifall.

"Sie hier im Saal wollen, dass wir regieren. Das will ich auch": Frank-Walter Steinmeier mit seiner Frau Elke Büdenbender im Berliner Tempodrom. (Foto: Foto: dpa)

Der wird nicht abreißen in der guten Stunde, in der der Vizekanzler beweisen möchte, dass er ein würdiger, ein engagierter Kanzlerkandidat ist. Dabei röhrt er nach Manier seines früheren Chefs Gerhard Schröder in das Mikrophon, moderater allerdings als bei anderen seiner Großauftritte. Er macht sich zum Fürsprecher der kleinen Leute, der Verlierer der Wirtschaftskrise.

"Kein Kind ohne Schulabschluss"

Und er umreißt das Programm: Steuern hoch für Bildung! Ausstieg aus der Atomenergie! Kein Kind ohne Schulabschluss! Die SPD wird Deutschland wieder regieren! Der Saal will jubeln, und Steinmeier hätte, so wirkt es zwischenzeitlich, aus einem Kochrezept vorlesen können - Applaus wär ihm an diesem Tag gewiss. Am Ende seiner Rede zollt dann jeder jedem Beifall im Tempodrom: Die gesamte SPD-Spitze zusammen mit Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan beklatscht die Gäste und die klatschen zurück.

Mit diesem Auftritt beginnt für die SPD und Steinmeier ein neuer Akt in der Wahlkampf-Choreographie des Jahres 2009. Das Programm ist geschrieben und, mit ein wenig Gemurre, in der Partei allseits akzeptiert. Nun muss der Kandidat zeigen, dass er tatsächlich einer ist, der die eigenen Leute und die Wähler überzeugt, dass er besser ist als Kanzlerin Angela Merkel. Bis zum 27. September muss Steinmeier auf der Bühne stehen, ganz vorn, nicht länger an der Seite des Parteivorsitzenden Franz Müntefering. Letzterer tritt in den Hintergrund, allerdings nur öffentlich.

So wie am Samstag, als die beiden zusammen nach stundenlangen Debatten im Parteivorstand ihren Erfolg verkünden: Wahlprogramm einstimmig angenommen, keine Vermögenssteuer, alle Mann zufrieden. Müntefering lässt dem Kandidaten den Vortritt, redet kurz und nur dann, wenn er gefragt wird. Die Nummer eins ist jetzt Steinmeier, und Müntefering sagt, der sei "gut drauf". Gut drauf? Erleichtert wirkt er, schließlich gab es keinen Eklat, brav sind auch Kritiker des linken Flügels seiner Linie gefolgt.

Weitere Steuererhöhungen, so soll Steinmeier auch im Vorstand gesagt haben, seien mit ihm nicht zu machen. Glaubt man Teilnehmern, trat er ruhig und bestimmt auf, ohne zu drohen. Und als er vor Kameras die wichtigsten Punkte des Programms vorgestellt hat, atmet er ganz tief durch. Geschafft!

Doch er wirkt angespannt, stützt die Hände aufs Rednerpult, wippt auf den Zehenspitzen, wölbt die Lippen. Was er Merkel voraus habe, wird er gefragt. Die Antwort ist lang: "Das müsste sich doch gegenwärtig schon herausgeschält haben. Sie kennen mich doch schon seit einer Reihe von Jahren, und Sie wissen, dass ich in der Politik der Bundesregierung seit elf Jahren tätig bin.

Da gab es Krisen und Unwetter, in denen mein Beitrag erkennbar war, mit Augenmaß und Vernunft. Ich habe meinen Beitrag geleistet, dieses Land modern aufzustellen, und das will ich auch in Zukunft tun, und deshalb halte ich mich für dieses Amt für geeignet."

Dazu muss man sagen, dass der Vizekanzler nicht zu den Menschen gehört, die öffentlich Wind um sich machen. Manche in der SPD bedauern das, aber so ist er eben, der Frank-Walter. Doch der Kandidat hat sich verändert, seit September, als er vom Außenminister zum Herausforderer wurde.

Er wirkt selbstbewusst, kann inzwischen auch kürzere Sätze sprechen, soll bei SPD-Runden beim Thema Innen- und Wirtschaftspolitik das Wort führen. Die, die ihn oft erleben, sagen, er reagiere auch nicht mehr so oft beleidigt. Steinmeier, das muss man wissen, hat einen Hang zum Übelnehmen, immer dann, wenn er sich unterschätzt, ungerecht behandelt oder übergangenen fühlt, sei es von Kollegen, Journalisten oder der Kanzlerin.

Keiner sagt etwas Gemeines

Mit seiner bisherigen Kandidaten-Bilanz kann Steinmeier durchaus zufrieden sein. Das Konjunkturprogramm der Bundesregierung trägt seine Handschrift, die Gewerkschaften sind nach dem jahrelangen Hader offenkundig wieder etwas besser auf die Sozialdemokraten zu sprechen. Kein Genosse sagt etwas wirklich Gemeines über ihn, Rechte und Linke in der Partei liegen sich nicht mehr ständig in den Haaren, ein Erfolg auch Steinmeiers, der immer wieder um das Vertrauen von Kritikern wirbt.

Den wortstarken Energie-Experten Hermann Scheer ließ er am Samstag im Vorstand bei einer Kontroverse über die Energiepolitik gewähren, sprach dann noch einmal unter vier Augen mit ihm vor der Saaltür. Diese Geduld hätte Gerhard Schröder nicht gezeigt. Der zollte übrigens bei seiner Geburtstagsfeier am Samstagabend in Hannover seinem einstigen Kanzleramtschef Lob: Er, Schröder, habe schon ganz früh erkannt, dass Steinmeier das Zeug zum Kanzlerkandidaten habe.

Er schuftet

Doch all diese Errungenschaften zahlen sich bislang nicht aus, weder für Steinmeier, noch für die Partei. In Umfragen liegt die SPD bei jenen 24 Prozent, die sie unter dem früheren Vorsitzenden Kurt Beck erreichte. Auf der Beliebtheitsliste führt derzeit Merkel mit gut 50 Prozent Zustimmung, Steinmeier erreicht nicht einmal die Hälfte davon. Solche Zahlen bedrücken, auch wenn Steinmeier das nicht zugeben würde. Er schuftet.

"Er arbeitet viel, kompetent, hochkonzentriert, aber manchmal fast verbissen", sagt ein führender Sozialdemokrat. Äußerlich ruhig sei er, ticke nicht aus, tobe nie. "Wenn er rast, dann nach innen, in sich selbst." Respekt genießt er, der Kandidat. Doch die Zweifel bleiben, selbst bei Wohlmeinenden. Sie wünschen sich, Steinmeier träte endlich einmal heraus aus dem Schatten der Kanzlerin, zeige der SPD und der deutschen Welt, was eine politische Harke ist. "Wir warten auf den großen Moment, sagt einer, der es wirklich gut meint, "auf den Bringer."

© SZ vom 20.04.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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