SPD: Die Rollen des Franz Müntefering:Einsam statt gemeinsam

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Auf der "Ochsentour" brachte es Arbeitersohn Müntefering zum Vizekanzler. Nun beharrt er stur auf der Agenda 2010 - und verliert die Liebe seiner Genossen, denen er einst so nah war.

Sarina Märschel

Wenn er in den neunziger Jahren durch sein Stammland tourte, durch das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen, dann war er ganz nahe bei sich selbst und seiner SPD. "Wichtig ist, dass ich da war und den Genossen versichert habe, die Grundsache, die ist okay."

"Fast so häufig wie die Posten wechselte er die Überzeugungen" schrieb die NZZ über ihn: Vizekanzler Franz Müntefering. (Foto: Foto: dpa)

So hat es Franz Müntefering, der Arbeitersohn aus dem Sauerland, immer gehalten mit dieser "Grundsache", der Sozialdemokratie. Das brachte den Kärrner der Partei nach ganz oben, und stellenweise erlangte er dabei sogar - dank seiner wie in Beton gegossenen Frisur - sogar Kultstatus.

Immer war dieser "Wasserträger" ( Spiegel), dessen Vorbild Johannes Rau ist, ein Mann der Basis. Und immer in Opposiiton zu reformfreudigen, wirtschaftsfreundlichen Genossen wie Wolfgang Clement, den er in NRW den Vortritt als Ministerpräsident lassen musste.

Müntefering hat es dennoch auf der "Ochsentour" ins Bundeskabinett gebracht - und ist damit nun in einer staatstragenden Rolle, die ihn von den Genossen und der "Grundsache" ziemlich weit entfernt hat. Nun gibt er den Lordsiegelbewahrer des Erbes von Gerhard Schröder, der in der SPD weithin verhassten und zum Korrekturposten verdammten Agenda 2010.

Der Arbeitsminister aber will Haltung bewahren, auch in der neuen Funktion. Es ist ja auch alles in Ordnung in einem Land, das er gewissermaßen mitverwaltet. "Die Menschen bei uns genießen großen Wohlstand und ein hohes Maß an sozialer Sicherung", schreibt er auf der Bundestagshomepage. Um dies zu erhalten, seien mutige und entschlossene Reformen notwendig.

Müntefering, 67, ist jetzt da, wo sein Antipode Clement war. Er ist jetzt bei den Schröderschen Veränderern, die er einst skeptisch gesehen hat. Damit auch für die Enkel noch etwas übrigbleibe, meint er heute, sei "ein Umdenken und die Abkehr von manch liebgewordener Vorstellung" erforderlich. Der Vizekanzler selbst will freilich nicht umdenken.

Damit steht Müntefering im SPD-Spektrum mittlerweile auf einmal eher rechts von der Mitte. Sogar einige Unionspolitiker haben ihn mit ihren Vorschlägen links überholt. "Münte", der Hardliner.

Müntefering hat keine Lust, sich zu beugen

In einem offenen Machtkampf hat sich der Arbeitsminister gegen den Vorschlag des derzeitigen SPD-Chefs Kurt Beck gestellt, Älteren das Arbeitslosengeld I länger auszuzahlen. In der Partei wird auch an der Rente mit 67 gesägt. Und Franz Müntefering, der gute Genosse von einst, der Mann von ganz unten? Er mahnt - ohne Verständnis für Korrekturwünsche - zum Festhalten an der Agenda 2010.

Becks Vorschlag sei eine populistische Abkehr davon, basta. Schröders Reformpolitik sei richtig und wichtig gewesen. Jetzt empfiehlt er seiner Partei, Kurs zu halten. Müntefering hat offenbar keine Lust, sich zu beugen - egal, ob die Basis oder Beck ihn dazu bringen wollen.

Damit begibt sich der Arbeitsminister auf eine einsame Position. Zwar bekommt er Trost von Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der ihn als personifizierte Schutzmacht der kleinen Leute und der Arbeitslosen sieht und ihm in einem Interview mit der Bild-Zeitung bescheinigt: "Und starrsinnig ist er auch nicht." In der Sache aber kann Müntefering auf diesen Kameraden nicht hoffen: Der küntige SPD-Vizechef deutete schon seine Zustimmung zu Becks Plänen zum Arbeitslosengeld I an.

Müntefering im parteiinternen Abseits - das ist bitter für einen, der sich selbst aus gutem Grund als Moderator der Partei sehen konnte. Jahrelang hieß es, niemand verstehe sich so gut auf die Seele der Partei wie Franz Müntefering. Am eindrücklichsten bewies dies der Sauerländer, als er die Delegierten beim Bochumer Parteitag im Herbst 2003 mit wenigen warmen Worten beruhigte und ihnen das Gruseln vor Schröders Reformen nahm. Das war er noch - Franz, der Sozialdemokrat alter Schule.

"Fast so häufig wie die Posten wechselte er die Überzeugungen"

Müntefering hat den Ruf, ein geradliniger Mensch zu sein. In den vergangenen Jahren machte "Münte" aber einen Rollenwechsel nach dem anderen durch. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) betitelte ihn im Oktober 2005 als "Chamäleon" und befand: "Fast so häufig wie die Posten wechselte er die Überzeugungen." Und die Posten wechselte der Spitzensozi oft.

Allein in den sieben Jahren rot-grüner Koalition war er SPD-Generalsekretär, Bundesverkehrsminister, Fraktionschef und Parteivorsitzender.

Seit 1966 ist Franz Müntefering Mitglied der SPD. Ein Mustermitglied: Er hat eine Lehre als Industriekaufmann gemacht, dann jahrelang als Angestellter in der metallverarbeitenden Industrie gearbeitet. Studiert hat er nie. Die Partei war sein Leben, seine Karriere.

Im Vorstand des SPD-Bezirks Westliches Westfalen war Müntefering eine Macht. Von 1975 an wirkte er als Bundestagsabgeordneter, von 1992 an als Arbeits- und Sozialminister in Nordrhein-Westfalen. Drei Jahre später übernahm er den Posten des SPD-Bundesgeschäftsführers. 1998 wurde Müntefering Landesvorsitzender der NRW-SPD und mischte als Verkehrsminister in der Schröder-Regierung mit.

Heuschrecken-Vergleich zum Wohle der Partei

Als Beispiel für Münteferings Zickzackkurs gilt, dass er Gerhard Schröder und dessen Reformagenda verteidigte, ihm einige Monate später aber in den Rücken fiel, indem er ausländische Investoren mit "Heuschrecken" verglich. Und dass er gezielt den linken Parteiflügel förderte, während Schröder die Reformen durchboxte.

Franz Müntefering hat gelitten für die Agenda 2010, sie hat seiner Partei Mitglieder und Stimmen gekostet. Nun endlich trägt die Reform Früchte. Der Minister will deshalb nicht zuschauen, wie die Agenda abgeschossen wird. Er hält das Ganze nun für ein Erfolgsprojekt - und kann nicht mehr mit, wenn seine Partei anders sieht.

Müntefering im Regen

"Die Menschen wollen, dass wir gute Politik machen. Und wir tun etwas, das über den Tag hinaus die Gestaltbarkeit des Landes verbessert." Das ist ein typischer Glaubenssatz des SPD-Funktionärs Müntefering. Hier stehe ich und kann nicht anders. Starrsinn hatte ihm auch das Amt des Parteichefs gekostet, als er für das SPD-Generalsekretariat ziemlich aussichtslos auf Kajo Wasserhövel beharrte und schließlich aufgeben musste.

In der kurzen Erklärung über seine politischen Ziele auf der Bundestagshomepage äußert sich Müntefering im Plural: "An unseren Grundwerten halten wir fest: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. [...] Gemeinsam schaffen wir das."

Gemeinsam? Im Moment sieht es eher danach aus, als ob ihn die Genossen im Regen stehen lassen.

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