SPD: Der Fall Clement:Ihr da oben, wir da unten

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Erdbeben in der SPD: Der Fall Clement ist auch eine Abrechnung der Partei mit einstigen Regierungsgrößen - die jetzt in der Wirtschaft absahnen. Sie gilt auch Ex-Kanzler Schröder.

Varinia Bernau

Für den Wahlforscher Manfred Güllner ist der Mann, über den die SPD derzeit so intensiv diskutiert, "ein Symbol der Erneuerungspolitik" - es sei ja schließlich die Hoffnung auf Erneuerung gewesen, die der SPD 1998 nach 16 Jahren Kohl-Regierung zum Wahlsieg verhalf. Die Partei müsse deshalb den ehemaligen Superminister und nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement unbedingt halten. Klaus Amoneit vom SPD-Ortsverein Bochum-Hamme sagt dageben vielsagend: "Wir sind aus der Sammelbewegung der Schwachen und Entrechteten hervorgegangen."

Auch wegen seiner Posten in der Kritik: Wolfgang Clement (Foto: Foto: ddp)

In der SPD tobt der nachträgliche Kampf um die Agenda 2010, das zentrale Reformwerk der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder. Und: Es tobt der Kampf der Basis gegen die Mächtigen von einst.

Es geht im Grunde um die riesengroße Entfremdung zwischen den früheren sozialdemokratischen Machern in Berlin und weiten Teilen der Partei. Während die Leute in den Ortsvereinen mitbekommen, dass den Leuten das Geld zum Leben kaum noch reicht und viele unter Hartz IV fallen, stehen Schröder, Clement und die anderen Agenda-2010-Förderer bei ihnen unter dem Verdacht, nach Ende der politischen Karriere ausgerechnet in der Wirtschaft persönlich absahnen zu wollen.

Ums Abkassieren kümmerten sich bislang die Liberalen und Konservativen

Das verträgt sich nicht in einer Partei, die stets auf Solidarität und sozialen Ausgleich bedacht war, und die sich nicht als privates Vermögensförderungsvehikel gesehen hat. Nach dem Ende ihrer Laufbahn waren Parteigrößen wie Willy Brandt und Helmut Schmidt bestenfalls publizistisch tätig. Für das Abkassieren nach der Politik aber waren die Konservativen und vorzugsweise die Liberalen zuständig.

Der langjährige bayerische Finanzminister Georg von Waldenfelds (CSU) erregte zum Beispiel 1995 Aufsehen, als er im damaligen Viag-Konzern - heute ein Teil von Eon - für ein stolzes Jahressalär die Leitung des Lobby-Vorstandsressorts Wirtschaft und Politik übernahm. Der FDP-Politiker Martin Bangemann wiederum übernahm nach seiner Zeit als EU-Kommissar ein Beratungsmandat beim spanischen Riesen Telefonica.

Schon immer war es gerade Sozialdemokraten verdächtig, wenn Politiker auf diese Art die Seiten wechselten - und sie ihr Netzwerk und ihr Know-how kapitalistisch pur vergoldeten. Dass nun Schröder und Genossen diesen Weg einschlugen, verstärkte den Frust über die Agenda-2010-Politik und nährte die Sehnsucht nach Abrechnung. So wurde Clement zum Symbol.

Der 68-Jährige, der große Verdienste um die SPD hat, hat mit dem alten identitätsstiftenden Selbstverständnis der SPD gebrochen. Viele halten es für fragwürdig, wenn er sich in Verbindung mit seinen lukrativen Jobs dann auch noch politisch äußert. Clement hält Vorträge für das von ihm geleitete Institut der Zeitarbeitsfirma Adecco und propagiert dabei den Nutzen der Zeitarbeit, die Bochumer Genossen als "modernen Sklavenhandel" werten. Clement sitzt auch in verschiedenen Beiräten, zum Beispiel beim Dienstleister Dussmann.

Die weitesten Kreise aber zog Clements Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied einer Konzerntochter des Energieversorgers RWE. Von dieser Position aus erschienen seine Ratschläge in Sachen Energiepolitik - zum Beispiel pro Atom - in einem zweifelhaften Licht. Als er sich kurz vor der Hessen-Wahl dann noch gegen das Energiekonzept der SPD wandte und indirekt von der Wahl von Andrea Ypsilanti abriet, brach der Sturm der Entrüstung los. Dieser "bezahlte Lobbyist", wüteten sie im SPD-Ortsverein Bochum-Hamme gegen Clement, den gebürtigen Bochumer.

Sie wissen natürlich, dass Clement nur seinem ehemaligen Kabinettschef folgt. Gerhard Schröder, der schon früh "Genosse der Bosse" genannt wurde, übernahm für rund 250.000 Euro jährlich den Aufsichtsratsvoritz der Nordeuropäischen Gas-Pipelinegesellschaft (NEGP), die sich um die politisch nicht unumstrittene Verlegung einer Gas-Pipeline durch die Ostsee kümmert.

Hauptgesellschafter ist der staatliche russische Energiekonzern Gazprom, eine ökonomische Zierde des wenig demokratischen Imperiums von Regierungschef und Schröder-Freund Wladimir Putin. Und dann berät Schröder zum Beispiel für gutes Geld den Schweizer Verleger Michael Ringier und will ihm bei der Expansion in Asien helfen, etwa in der Diktatur China.

Für die verstörten Genossen an der Basis passt ins Bild, dass sich Clement im Parteiausschlussverfahren anwaltlich von Otto Schily vertreten lässt, dem einstigen RAF-Verteidiger, der bei seiner weiten politischen Wanderung zum Schluss als knorriger Bundesinnenminister ankam. Er sitzt nach wie vor für die SPD im Bundestag und hat einige vermutlich lukrative Beratungsmandate, über die er nichts erzählen will. Alles Geheimsache.

Es drang lediglich durch, dass er für den Siemens-Konzern aktiv war. Und er unterhält Aufsichtsratsämter bei den Firmen Biometric System AG und Safe ID Solutions AG. Die eine Firma stellt Geräte zur Iriserkennung her, die andere Geräte für elektronische Ausweise. Schily verweigert jedoch Angaben über seine Einkünfte.

Das alles gefällt aufrechten Sozialdemokraten nicht. Sie erwarten in der jetzigen Krise der Partrei eine alte Autoriät - aber die, die noch gestern an der Macht waren, sind heute zum großen Geldverdienen in die Konzerne ausgeschwärmt. Die SPD hat ein altes Problem, das sie in der Gesellschaft schon lange beklagt: Ihr da oben, wir da unten.

Gute und böse Lobbbyisten

Die Organisation Lobby Control hat im Novermber 2007 eine erschreckende Studie über das zweite Schröder-Kabintett (2002-2005) vorgestellt. Danach seien "ehemalige Regierungsmitglieder und Führungspersonen der Ministerialbürokratie in großem Umfang direkt nach Beendigung der politischen Tätigkeit in Lobbytätigkeiten im engeren und weiteren Sinn" gewechselt. In den meisten Fällen seien die Lobbytätigkeiten "eng mit den vorherigen politischen Aufgabenfeldern verbunden". Es liege der Verdacht nahe, "dass bei politischen Entscheidungen der Seitenblick auf die späteren Jobchancen zu einem bedeutenden Faktor wird".

Mitunter wird im Umfeld der SPD und in Medien darauf hingewiesen, dass nicht jeder Lobbyist so kritisch gesehen werde wie Clement. Dann wird Hermann Scheer genannt, der seit 1980 für die SPD im Bundestag sitzt und seit 1988 als Präsident von Eurosolar fungiert, der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien. Scheer, Autor des Energieprogrammms der hessischen SPD, betont, dass er sich nicht auf einer Stufe mit bezahlten Lobbyisten sieht. Seine Tätigkeit für Eurosolar ist ehrenamtlich; er sei ein engagierter Bürger. Bezahlte Tätigkeit für Konzerne, das sei etwas anderes.

In Hessen hat Scheer mit seinen Forderungen - raus aus der Kernkraft, raus aus der Kohle, rein in die erneuerbaren Energien - die Vorlage für Clements Kardinalkritik geliefert. Der Streit eskalierte.

SPD-Fraktionschef Peter Struck hat kürzlich eingestanden, dass die Agenda-Politik die Partei im Jahr 2003 unvorbereitet getroffen habe. "Viele an der Basis halten sie nach wie vor nicht für richtig." Die alte Position - wir sind die Partei der Armen und wir nehmen das Geld den Reichen weg - sei aber in einer globalisierten Welt nicht mehr zu halten, so der Politiker.

Diese Nachricht muss in der SPD nur noch ankommen.

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