Sicherheitsgesetze:Es reicht!

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Die Verfassungsrichter wollen nicht mehr dabei zusehen, wie der Rechtsstaat von immer mehr Sicherheitsparagrafen gewürgt wird und wie die Freiheit an ihrer Verteidigung erstickt.

Von Heribert Prantl

In Karlsruhe sitzen nicht die Jakobiner des Rechtsstaats. Die Richter in den roten Roben sind keine Revoluzzer und keine Wolkenkuckucksheimer. Sie treten daher die Sicherheitsgesetze nicht einfach in die Tonne, auch dann nicht, wenn diese Gesetze unmäßig sind. Die Richter prüfen sie mit viel Verständnis dafür, dass die Politik auf terroristische Gefahren reagieren muss. Die Richter zerlegen deshalb die Gesetze sorgfältig in ihre akzeptablen und inakzeptablen Teile. Aber: Die Richter wollen nicht dabei zusehen, wie der Rechtsstaat von immer mehr Sicherheitsparagrafen gewürgt wird und wie die Freiheit an ihrer Verteidigung erstickt. Deshalb sind die Richter Streithelfer für Bürger und Bürgerrechte, deshalb schützen sie die Privatheit vor zu schnellem, zu generellem, zu wenig kontrolliertem Zugriff.

Karlsruhe tut das schon lange; alle Sicherheitsgesetze seit 9/11 wurden hier gewogen. Jetzt haben die Richter ihre Bedenken in einem umfassenden Urteil zusammengefasst und fortgeschrieben. Es betrifft unmittelbar das BKA-Gesetz, mittelbar aber die gesamte Anti-Terror-Gesetzgebung. Das Karlsruher Gericht sagt: Bis hierher und nicht weiter. Und es ordnet einen an Grundrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien orientierten Rückbau der Sicherheitsgesetze an. Das höchste Gericht schützt den Bürger vor digitaler Inquisition und vor Überwachungsexzessen; es unterbindet dabei aber nicht eine wirksame Terrorbekämpfung. Das Urteil sorgt für eines: Das bloße Wort "Terrorbekämpfung" darf nicht als Generalschlüssel funktionieren, der ohne Umstände jedes Grundrecht aufsperrt.

Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten? Das Verfassungsgericht hat etwas dagegen, dass dieser abgedroschene Satz insgeheim als Legitimation für alle möglichen heimlichen Überwachungsmaßnahmen gilt - für Telefonüberwachung, für die Installation von elektronischen Wanzen und Kleinkameras in Privatwohnungen, für die Rasterfahndung und für Computer-Durchsuchungen, für Lausch- und Spähangriffe aller Art und für V-Leute. Gewiss: Das Karlsruher Urteil könnte an vielen Stellen noch konkreter sein; aber es ist konkret genug, um klarzumachen, dass die neuere Sicherheitsgesetzgebung hinten und vorne rechtsstaatlich ungenügend ist.

Gummiformeln, Murks und Maßlosigkeit

Erstens: Die Gummiformeln, mit denen derzeit Grundrechtseingriffe durch die Polizei erlaubt werden (mal bei "Gefährdung", mal bei "konkreter", mal bei "dringender" Gefahr) sind so nicht mehr statthaft. Diese Paragrafen sind ein grundrechtsunwürdiger gesetzgeberischer Murks. Also wird eine umfassende Inventur und Remedur der bisherigen Sicherheitsgesetze erforderlich sein. Zweitens: Die Intimsphäre der Bürger muss besser geschützt werden; nicht mit warmen Worten und Absichtserklärungen, sondern mit effektiven Maßnahmen und Kontrollen. Das heißt: Wenn das Bundeskriminalamt die private Kommunikation abhört und private Computer anzapft, dann muss erst eine unabhängige Stelle das abgeschöpfte Material sichten und sortieren - bevor das zulässige Material dem Bundeskriminalamt zur Verfügung steht. Drittens: Die Sicherheitsbehörden dürfen die Informationen, die sie heimlich gewonnen haben, nicht beliebig an andere inländische und schon gar nicht an ausländische Behörden weitergeben. Deutsche Daten, die für US-Drohnenangriffe verwendet werden könnten, dürfen wohl künftig nicht mehr herausgegeben werden.

Winfried Hassemer, der 2014 verstorbene Strafrechtsgelehrte und Verfassungsrichter, hat warnend darauf hingewiesen, dass das Sicherheitsbedürfnis gerade in Terrorzeiten "strukturell unstillbar" sei. Gegen das Argument "Morgen kann vielleicht etwas passieren" sei kaum ein Kraut gewachsen. Aber es müsse, so sagte er, ein Kraut dagegen gewachsen sein, weil sich der Gesetzgeber und die Gesellschaft nicht immer weiter treiben lassen dürften durch Bedrohungsszenarien. Das Karlsruher Urteil versucht jetzt, so ein Kraut zu züchten gegen das unstillbare Sicherheitsbedürfnis.

Es geht darum, eine verhängnisvolle Entwicklung zu stoppen: Der Gesetzgeber löst das klassische Polizei- und Strafrecht mit seinen jeweils sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in einem einheitlichen Recht der inneren Sicherheit auf - das nicht mehr unterscheidet zwischen Schuldigen und Unschuldigen, das keine Verdächtigen und Unverdächtigen mehr kennt, sondern nur noch potenzielle Gefahrpersonen, die zur Sicherheit überwacht werden sollen. Solche Maßlosigkeit verträgt sich nicht mit einem freiheitlichen Rechtsstaat. Das Verfassungsgericht will daher nun den deutschen Anti-Terror-Gesetzen ein rechtsstaatliches Maß zurückgeben.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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