Serie (6): Krieg im 21. Jahrhundert:Die Psycho-Schlacht

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Einen Krieg auf dem Schlachtfeld zu gewinnen, zählt nicht mehr viel. Der wahre Kampf tobt um die Köpfe und Herzen der Menschen. Eine Einführung in die psychologische Kriegsführung anhand von vier Beispielen.

Christoph Schäfer

"Wir müssen die Herzen der Menschen gewinnen", wiederholt Verteidigungsminister Franz Josef Jung mit Blick auf Afghanistan und den Kosovo bei jeder Gelegenheit. Er weiß, dass militärische Erfolge wertlos sind, wenn Medien und Öffentlichkeit die Erfolgsgeschichte nicht akzeptieren.

Tolle Lügnerin: "Krankenschwester Nayirah" vor dem US-Menschenrechtsausschuss (Foto: Screenshot: ARD)

Nahezu alle Staaten der Welt rüsten im Bereich der psychologischen Kriegsführung auf, für den man heute lieber den englischen Nato-Begriff "psychological operations (PSYOPs)" nutzt. Dahinter steht der Kampf um Umfragewerte, die Manipulation der Medien, PR-Kampagnen. Gemeinsames Ziel: die Köpfe und Herzen der Bevölkerung.

Als "Waffe" dieser Kriegsführung dient alles, was Nachrichten überträgt: Radio- und Fernsehstationen, Zeitungen, Lautsprecherwagen, das Internet. Auch klassische Flugblätter, Plakate, Give-aways, Computerspiele und SMS-Botschaften kommen zum Einsatz.

Um das gesetzte Ziel zu erreichen, genügt es nicht immer, die Wahrheit zu verbreiten. Die Kunst der wirksamen Wahrheitsbeugung ist gefragt. Vier Beispiele:

Zielsicher danebenballern: Propagandakrieg an der innerdeutschen Grenze

Bereits in den frühen fünfziger Jahren tobte ein heftiger Schlagabtausch zwischen Bundesrepublik und DDR. Im August 1958 erklärte Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß sogar öffentlich, dass gegen die verstärkte Ost-Propaganda endlich ein "aktionsfähiges Zentrum" gegründet werden müsse.

Gesagt, getan: Nach etwa zweijähriger Aufbauarbeit intensivierten Spezialeinheiten der Bundeswehr elf Jahre lang den Propagandakrieg gegen die DDR. Per Flugblatt regneten Aufforderungen zur Flucht in den Westen ebenso herab wie schöne Geschichten über die wirtschaftliche Überlegenheit des westdeutschen Systems.

Ein weiteres Hauptziel der westdeutschen Propaganda war der Schießbefehl für Soldaten der Grenztruppen an der innerdeutschen Grenze. Detaillierte Anweisungen wurden abgeworfen, wie man zielsicher danebenballert, ohne dass es Außenstehenden auffällt. Außderdem kamen über den kostenlosen Luftweg Kataloge mit Ausreden fürs Danebenschießen. Noch 1970 wurden fast zwanzig Tonnen "Informationsmaterial" mit speziellen Luftballons in die Deutsche Demokratische Republik geschickt.

Die Propagandaschlacht endete erst im Frühsommer 1972, als sich die Unterhändler beider Seiten im Vorfeld des Grundlagenvertrages auf einen medialen Waffenstillstand einigten.

Säuglinge auf dem Fußboden: Werbung für den Krieg

Ein US-Soldat des 9. PSYOP-Bataillions im Einsatz im Irak (Foto: Foto: AFP)

Gäbe es eine Hall of Fame der effektivsten und zugleich ruchlosesten Propagandamaßnahmen - die "Brutkastenlüge" aus dem Jahr 1990 wäre mit Sicherheit dabei. Im Vorfeld des zweiten Golfkriegs wollte das US-Verteidigungsministerium die amerikanische Bevölkerung für einen Feldzug gegen Saddam Hussein gewinnen - und engagierte zu diesem Zweck für 11,5 Millionen Dollar die Werbeagentur Hill and Knowlton.

Am 10. Oktober 1990 ließen deren PR-Strategen die fünfzehnjährige "Krankenschwester Nayirah" vor dem Menschenrechtsausschuss des amerikanischen Kongresses auftreten. Unter Tränen schilderte Nayirah, wie sie mit eigenen Augen sah, dass irakische Soldaten in einer kuwaitischen Entbindungsklinik fünfzehn Babys aus Brutkästen nahmen, die Kästen raubten und die Säuglinge "auf dem kalten Fußboden zurückließen, wo sie starben".

Die Geschichte der sterbenden Babys entwickelte sich zunächst zu einem grandiosen PR-Erfolg: Ende November 1990 wiederholte Nayirah ihre Geschichte von den grausamen irakischen Soldaten sogar vor dem UN-Sicherheitsrat in New York, der am Ende seiner Sitzung dem Irak mit Gewaltmaßnahmen drohte, sollte das Land nicht bis 15. Januar 1991 aus Kuwait abziehen.

Allein im Jahr 1990 sahen mehr als 35 Millionen US-Zuschauer die erschütternde Aussage der jugendlichen Krankenschwester im Fernsehen. US-Präsident George Bush senior baute die Geschichte laut einem ARD-Bericht mehrmals in seine Plädoyers für einen Waffengang ein.

Am 12. Januar erhielt Bush auch vom US-Senat die für einen Krieg notwendige Vollmacht. Allerdings war die Zustimmung knapp ausgefallen: Mit nur fünf Stimmen Mehrheit hatten die Senatoren den Waffengang gebilligt.

Erst 1992 enthüllte der US-Journalist John MacArthur, dass die vermeintliche Augenzeugin in Wahrheit die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA ist, die sich zum angegebenen Zeitpunkt definitiv nicht in Kuwait aufgehalten hatte.

Bedenklich: Nach den Enthüllungen gaben MacArthur zufolge sechs Senatoren an, für ihre Zustimmung habe der Gedanke an die ermordeten Frühgeborenen den Ausschlag gegeben. Wenn das zutrifft, hätte "Krankenschwester Nayirah" mit ihrer Lügengeschichte die Abstimmung im US-Senat entscheidend beeinflusst.

Saddam, der Säufer: Psychofeldzug im Irak

Im dritten Golfkrieg trieben die amerikanischen PSYOP-Truppen die "klassische" Kriegspropaganda in bis dato unerreichte Höhen. US-Flugzeuge warfen Millionen Handzettel ab, auf denen die irakischen Soldaten zum Überlaufen aufgefordert wurden: "Wenn du dein Leben retten willst, verlass deine Stellung und schließ dich den siegreichen Aliierten an." Andere Flugblätter waren an die irakische Bevölkerung gerichtet: "Wir führen Krieg nicht gegen euch, sondern gegen euren Diktator Saddam Hussein."

Um die Loyalität der Iraker zu ihrem Anführer zu untergraben, verbreiteten die PSYOP-Truppen, Saddam Hussein trinke Alkohol, esse Schweinefleisch und werde mit fremden Frauen intim. Ferner stellten sie mit Fotos von zerstörten irakischen Geschützen, ausgebrannten Panzern und vernichteten Schiffen immer wieder die eigene militärische Überlegenheit zur Schau.

Nicht zuletzt gaben die US-Truppen gegnerischen Kommandeuren über Radio, Funk, Lautsprecher, Mobiltelefon, Fax und Mail detaillierte Anweisungen, wie sie und ihre Truppen sich ergeben könnten, ohne Schaden davonzutragen.

Infolge der militärischen Siege der Amerikaner sowie deren erfolgreicher Propagandaarbeit gaben sich Tausende irakische Soldaten kampflos geschlagen und desertierten.

Wir sind Freunde: SMS-Botschaften auf libanesischen Handys

Einen großen Propagandaerfolg landete das israelische Militär im Libanon-Krieg im vergangenen Jahr. Den Truppen gelang es, Botschaften ins Fernsehprogramm der radikal-islamischen Hisbollah einzuspielen.

Auf dem Sender Al Manar war während der Abendnachrichten minutenlang das Bild eines toten Hisbollah-Kämpfers zu sehen. Gleichzeitig wurde folgender Text auf Arabisch eingeblendet: "Dies ist das Foto der Leiche eines Mitglieds der Hisbollah-Spezialtruppe. Seht, dass Nasrallah lügt." Es folgte ein Foto des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah. Ein Untertitel warnte das verdutzte Publikum: "Mitglieder der Hisbollah: Seid auf der Hut."

Doch das war nicht der einzige Coup der israelischen Psycho-Krieger: Während der Kampfhandlungen erhielten viele Libanesen gesprochene Telefonbotschaften sowie SMS-Nachrichten, in denen die Israelis erklärten, dass sich der Krieg nicht gegen das libanesische Volk, sondern lediglich gegen die Hisbollah richte.

Die Erfolge an der Propagandafront reichten diesmal allerdings nicht aus, um das Kriegsglück entscheidend zu beeinflussen: Nach Einschätzung aller Experten endete der Libanonfeldzug aus Sicht der Israelis in einem militärischen und politischen Desaster.

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