Schwieriges Wahlrecht:Wie gewonnen so zerronnen

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Wenn die CDU in Dresden zuviel Zweitstimmen erhält, dann verliert sie einen Sitz im Deutschen Bundestag. Ein Dresdner, der die CDU stärken will, kann sie also schwächen.

Felix Berth

Ein perfektes System zur Auszählung einer Wahl wird es nie geben. Denn alle mathematischen Verfahren, die sich Wissenschaftler ausgedacht haben, führen zu Ungenauigkeiten. Das liegt nicht an der Unfähigkeit der Forscher, sondern an einem Grundproblem: Wenn viele Millionen Wähler über wenige hundert Mandate entscheiden, geht die Rechnung nie auf - es gibt eben keine 34,39 oder 257,82 Sitze, sondern nur 34 oder 258.

Schon dieses Problem böte Material für zahllose Expertenrunden von Mathematikern und Ministerialbeamten. Das deutsche Wahlsystem hat überdies Eigenheiten, die die Sache mühsamer und, wie der Fall Dresden zeigt, teilweise absurd gestalten. Denn zum einen kennt das System das Prinzip der Überhangmandate, zum anderen stehen nicht Bundeslisten zur Wahl, sondern Landeslisten.

Wozu dies bei der Nachwahl in Dresden führt, demonstrieren der Physiker Martin Fehndrich und die Juristen Wilko Zicht und Matthias Cantow auf www.wahlrecht.de.

Ihre Kernaussage: "Wenn die CDU in Dresden mehr als 41.226 Zweitstimmen erhält, dann verliert sie einen Sitz im Deutschen Bundestag." Ein Dresdner, der die CDU stärken will, kann sie also schwächen.

Und ein Dresdner, der die CDU schwächen will, sollte sie mit der Zweitstimme wählen.

Wer das verstehen will, muss die Verteilung der Sitze in Einzelschritten durchspielen. Die Prozedur beginnt mit dem Ergebnis vom 18. September. Die CDU erhielt am Wahltag in ganz Deutschland 13.096.556 Stimmen. Daraus errechnen sich 173 Mandate im neuen Bundestag.

Nun wird im zweiten Schritt bestimmt, aus welchen Bundesländern die Unionsabgeordneten kommen. Auch diese Rechnung geht nie genau auf; der letzte, der für die CDU in den Bundestag rutscht, ist Caius Julius Caesar aus Nordrhein-Westfalen.

Er profitiert gerade noch von den Stellen hinter dem Komma im Ergebnis der NRW-CDU.

Die Nachwahl in Dresden wird die Rechnung verändern. Die Gesamtzahl der Unions-Zweitstimmen wird steigen; vor allem verschiebt sich das Gewicht innerhalb der Länder. Erhält die CDU mehr als 41.226 Stimmen (bei der Wahl 2002 waren es fast 50.000), steht sie bei der Berücksichtigung der Stellen hinter dem Komma besser da als die NRW-Union.

Die Sachsen würden elf statt zehn Abgeordnete stellen; die CDU-Leute aus NRW kämen auf 46 statt 47.

Bis hierher wäre das Ganze noch harmlos. Caius Julius Caesar müsste auf sein Mandat verzichten; statt seiner erhielte ein sächsischer CDU-Mann einen Sitz im Bundestag. Ähnliche Umverteilungs-Effekte zwischen den Landeslisten einer Partei kann die Nachwahl auch bei FDP und SPD auslösen; sogar innerhalb der Union bewirkt eine Zweitstimmen-Zahl zwischen 9409 und 41.225 eine solche Rochade: Dann käme statt Caesar eine Saarländer CDU-Frau ins Parlament. Den Parteien dürfte das egal sein, denn die Zahl ihrer Abgeordneten ändert sich dadurch nicht.

Doch für die Union wirkt sich zusätzlich eine zweite Eigenheit des Wahlsystems aus. In Sachsen hat sie bei den Erststimmen so gut abgeschnitten, dass sie in 13 Wahlkreisen ihre Direktkandidaten durchbrachte. Diese 13 Mandate stehen der Partei in jedem Fall zu, egal wie viele Zweitstimmen sie erhält.

Anders formuliert: Ob sich aus den Zweitstimmen zehn oder elf Mandate errechnen, ist unerheblich. Real ziehen für die sächsische Union 13 Wahlkreis-Gewinner in den Bundestag - und keiner von der Landesliste.

Wichtig wird die Frage, ob es nach Auswertung der Zweitstimmen zehn oder elf Mandate sind, nur für die NRW-CDU. Sie muss, wenn die Sachsen-CDU zu gut abschneidet, einen Sitz abgeben. Für die Gesamtpartei wäre dies ärgerlich. Sie verlöre einen Abgeordneten für NRW und gewönne keinen in Sachsen.

Abhilfe wäre möglich, sagen die Autoren von wahlrecht.de: Eine bessere Berechnung der Überhangmandate würde das Problem lösen, ohne dass man das deutsche Wahlrecht grundlegend ändern müsste. Eine Wahlprüfungsbeschwerde haben sie schon wegen der Wahl 2002 in Karlsruhe angestoßen; eine Entscheidung der Verfassungsrichter steht aus.

© SZ vom 1.Oktober 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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