Schweden:Ein Land rückt nach rechts

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Lange war es ein Tabu, die Offenheit Schwedens gegenüber Zuwanderern infrage zu stellen. Inzwischen will eine Mehrheit schärfere Asylgesetze.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Seit er die Politik verlassen hat, ist es ruhig geworden um Fredrik Reinfeldt. Auch die Rede, die der frühere Ministerpräsident vergangene Woche auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung gehalten hat, war wohl nicht für die große Öffentlichkeit bestimmt. Fast zynisch klang Reinfeldt, als er kritisierte, dass man in Schweden angesichts der vielen Flüchtlinge schon vom Kollaps rede. "Wenn Schweden kollabiert und nichts mehr geht, welche Worte haben wir dann übrig, um zu beschreiben, was gerade in Syrien passiert?"

Der Chef der Menschenrechtsorganisation Civil Rights Defenders hat ein Video von diesem Auftritt auf Facebook veröffentlicht. "Die Rede, die ein Premierminister gehalten haben sollte", stand darüber. Die Medien griffen das auf und schrieben von der "neuen Brandrede" ihres ehemaligen Regierungschefs. Dessen erste Brandrede ist unvergessen: Reinfeldt, damals noch im Amt, hatte die Schweden im Sommer 2014 angesichts wachsender Flüchtlingszahlen gebeten, "ihre Herzen zu öffnen".

Neuerdings sind die "Soldaten Odins" in Dalarna unterwegs, eine rechtsradikale Bürgerwehr

Seither hat sich viel geändert. Der Sozialdemokrat Stefan Löfven hat den liberal-konservativen Reinfeldt als Ministerpräsidenten abgelöst. Die Flüchtlingszahlen übertrafen alle Erwartungen. Schweden schaffe das nicht mehr, erklärte die Regierung im November und änderte den Kurs. Inzwischen lässt sie die Grenzen kontrollieren und arbeitet - teils mit Reinfeldts Partei der Moderaten - an strengeren Asylgesetzen. Schweden will nicht mehr als großzügigstes Asylland gelten, sondern nur noch das Minimum dessen erfüllen, wozu es als EU-Mitglied verpflichtet ist. Im Juni soll das Parlament über ein Gesetz abstimmen, mit dem der Familiennachzug erschwert und die befristete Aufenthaltserlaubnis zur Regel wird. Migrationsminister Morgan Johansson hat weitere Pläne: Er möchte Hilfen und Unterkunft für alle streichen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Er hofft, dass sie dann freiwillig das Land verlassen. Die Regel soll von Anfang Juni an gelten. Außerdem plant er medizinische Tests, um das Alter von angeblich minderjährigen Flüchtlingen zu überprüfen.

Im Sommer 2014, bei Reinfeldts erster Brandrede, wären solche Vorschläge unvorstellbar gewesen. Kein Politiker, abgesehen von den rechten Schwedendemokraten, hätte gewagt, eine strengere Flüchtlingspolitik zu fordern. Er hätte wohl jede Wahl verloren. Heute stehen 69 Prozent der Schweden hinter den schärferen Gesetzen, hat eine Umfrage ergeben. Als Hauptgründe nannten sie, dass Schweden noch mehr Menschen nicht angemessen helfen könne - und dass diese Schwedens Wohlfahrtsstaat bedrohten.

Die Moderaten, größte Oppositionspartei, würden gerne noch weiter gehen, etwa Leistungen für Menschen mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung kürzen. Schweden brauche "eine Flüchtlingspause", sagt Parteichefin Anna Kinberg Batra, Reinfeldts Nachfolgerin. Die Moderaten haben die regierenden Sozialdemokraten in Umfragen überholt, begründen das mit ihrem strengeren Ansatz in der Flüchtlingsfrage. Vermutlich konnte sie so auch den einwanderungsfeindlichen Schwedendemokraten Unterstützer wegnehmen. Deren Umfragewerte sind im Januar zum ersten Mal seit Monaten gefallen.

Gegen die Rechtsradikalen dagegen scheint der Kurswechsel nicht zu helfen. Nachrichten von brennenden Flüchtlingsheimen und Maskierten, die in Stockholm Jagd auf Flüchtlinge machten, haben Schwedens Ruf als Zufluchtsort beschädigt. Zum ersten Mal liefen nun auch Anhänger der "Soldaten Odins" durch die schwedische Provinz Dalarna, eine selbst ernannte Bürgerwehr mit Neonazi-Hintergrund, die auch in Norwegen und Finnland ihr Unwesen treibt.

In Schweden war es lange ein Tabu, Offenheit und Hilfsbereitschaft gegenüber Neuankömmlingen in Frage zu stellen. Dass es Reinfeldt selbst war, der als einer der Ersten öffentlich an dem Tabu gerüttelt hat, haben viele vergessen. Er sprach in seiner Rede nicht nur von offenen Herzen, sondern auch davon, dass mehr Flüchtlinge die Gesellschaft auch mehr kosten werden.

© SZ vom 24.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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