Scholz beim IWF:Neuling macht neugierig

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Freundlich empfangen: Olaf Scholz und Gastgeberin Christine Lagarde. (Foto: Thomas Imo/imago/photothek)

Man hatte sich in vielen Jahren gewöhnt an Wolfgang Schäuble. Nun überrascht der neue Finanzminister Olaf Scholz die Finanzelite als europäischer Teamplayer.

Von Cerstin Gammelin, Washington

Manchmal hat man einfach keine Wahl. So wie Olaf Scholz am Donnerstag in Washington. Er sitzt auf einem Podium mit einigen europäischen Kollegen und soll erklären, wie er es mit dem neuen Aufbruch in Europa hält. Was einigermaßen komplex ist für jemanden, der bis vor ein paar Monaten noch Erster Bürgermeister von Hamburg war - und in diesem Moment drei Hüte tragen muss: Scholz ist noch Parteichef der SPD. Er muss Rücksicht nehmen auf die Gefühle der Genossen und natürlich auf den Parteitag am kommenden Sonntag, auf dem Andrea Nahles als Nachfolgerin gewählt werden soll. Bitte keinen Ärger jetzt. Er ist Finanzminister der größten Volkswirtschaft Europas, der bei allen Visionen auch immer die Kategorie "Was kostet das?" bedenken muss. Und er ist der deutsche Vizekanzler, von dem erwartet wird, dass er die kühnen Visionen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron unterstützt.

Aber was macht Scholz? Er entscheidet sich nicht für einen der Hüte, sondern für etwas anderes. Er gleitet in die politische Philosophie und zitiert, irgendwie passend für Washington, den Amerikaner John Rawls. Denn der hat in seinem Werk "A Theory of Justice" erläutert, dass gerechte Gesellschaften im Diskurs entstünden, wobei alle Teilnehmer dabei ihre eigene Rolle ablegen müssten, damit am Ende alle die neue Ordnung als gerecht empfinden könnten. Scholz sagt: "Man sollte sich immer auch in die Rolle des anderen hineinversetzen". Zwölf Worte sind dem Wortkargen genug, um zu erläutern, wie er Europa verändern will.

Scholz hat dabei dieses Lächeln im Gesicht, von dem man nie weiß, ob er wirklich fröhlich ist oder nur angespannt oder abwartend. Jedenfalls setzt er mit leicht nach oben gezogenen Mundwinkeln an, seinen Verhandlungsstil an einem Beispiel zu illustrieren, das auch dem Begriffsstutzigsten zeigen soll, wie komplex alles in Europa ist. "Man muss immer daran denken, wie es ist, wenn man früh aufwacht und Finanzminister von Italien ist."

Was schon eine verwegene Idee ist, jedenfalls aus deutscher Sicht. Man stelle sich vor, der deutsche Minister ginge abends zufrieden ins Bett mit Schwarzer Null, Haushaltsüberschüssen und sinkenden Schulden - und stünde morgens auf mit Löchern in der Haushaltskasse und einem 130-prozentigen Schuldenberg im Vergleich zur Wirtschaftskraft. Neben Scholz auf dem Podium sitzt übrigens der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan, der es in dem regierungslosen Land gerade nicht leicht hat und offenbar sofort anfängt zu träumen, was zu einem spontanen "oder deutscher Finanzminister" führt.

Scholz jedenfalls lüftet an diesem Donnerstag jenseits des Atlantiks noch ein zweites Geheimnis: Er wolle die Entwicklung der Europäischen Union vorantreiben, nicht die der Euro-Zone. "Die gesamte EU hat Priorität", sagt Scholz. Was vor allem mit dem Abschied Großbritanniens aus der EU zusammenhänge. Niemand habe sich "bislang wirklich Gedanken über die weitreichenden Änderungen gemacht, die das mit sich bringen wird". Wenn das Land im Jahr 2020 die Gemeinschaft verlasse, "dann wird die EU überwiegend aus Menschen bestehen und eine Wirtschaftsleistung erbringen, die hauptsächlich aus Ländern mit dem Euro kommen". Und da alle Staaten, die bisher den Euro noch nicht eingeführt haben, dies irgendwann tun müssten, sei es sinnvoll, von Anfang an alle 27 Staaten in den Blick zu nehmen und nicht nur die derzeitigen 19 Euro-Staaten.

Scholz ist kurz vor dem SPD-Parteitag nach Washington geflogen, um auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank seine Kollegen zu treffen - die ihn mit freundlicher Neugier erwartet hatten. IWF-Chefin Christine Lagarde ist als Gastgeberin so höflich, den Neuen aus Deutschland vorzustellen, ohne seinen Vorgänger Wolfgang Schäuble zu nennen. Auch sonst ist sie bemüht, Scholz einen herzlichen Empfang durch die internationale Finanzelite zu bereiten. Der bedankt sich mit dem Hinweis, dass er glaube, dass der IWF auch künftig in Europa gebraucht werde. Natürlich gibt es viel Lob für den französischen Präsidenten und dessen Mut, eine engagierte Reformagenda voranzutreiben. "Wir müssen darüber nachdenken, und wir müssen eigene Vorschläge vorlegen", sagt Scholz. Europa müsse sich für Krisen wappnen. Dann spricht er noch davon, dass der Europäische Währungsfonds eingerichtet und die Bankenunion vollendet werden muss. Konkreter wird er nicht.

Hätte Schäuble auf dem Podium in Washington gesessen inmitten der Kollegen, wäre er die dominante Figur gewesen. Scholz dagegen wirkt wie einer von vielen. Oder wie ein europäischer Teamspieler.

© SZ vom 21.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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