Schleierfahndung:Zweite Mahnung

Lesezeit: 2 min

Der Europäische Gerichtshof erlaubt die Schleierfahndung nur unter Einschränkungen. Denn Grenzkontrollen dürfen nicht durch die Hintertür wiedereingeführt werden. Nun kommt es auf die Praxis an.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Von Straßburg aus lässt sich Deutschland unkompliziert auf der Fußgängerbrücke Passerelle des Deux Rives erreichen, die nach Kehl führt. Dort sind Schleierfahnder der Bundespolizei im Einsatz. (Foto: Sebastien Bozon/AFP)

Die sogenannte Schleierfahndung war ja schon immer als Ausgleich zum Wegfall der Grenzkontrollen im Schengen-Raum gedacht, aber spätestens seit der Flüchtlingskrise herrscht kein Zweifel: Die Befugnis zur verdachtsunabhängigen Kontrolle von Personen im Grenzgebiet oder etwa in Zügen gewinnt an Bedeutung, jedenfalls politisch gesehen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und sein bayerischer Kollege Joachim Herrmann (CSU) möchten sie zu einem zentralen Instrument bei der Bekämpfung von Schmugglern, Schleusern und Terroristen machen.

In dieser Situation erinnert nun ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) daran, dass diese Kontrollbefugnisse nicht endlos ausgeweitet werden dürfen. Denn der Schengener Grenzkodex hat die Grenzkontrollen abgeschafft - sie dürfen deshalb nicht durch die Hintertür wieder eingeführt werden, das hat das oberste EU-Gericht entschieden. Die Befugnisse der Bundespolizei zur Identitätsfeststellung im grenznahen Gebiet dürften nicht die "gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen haben".

Ein Mann widersetzte sich der Kontrolle und wurde angezeigt. Aber war das rechtmäßig?

Auslöser der Entscheidung war eine Kontrolle auf dem Bahnhofsvorplatz von Kehl, wenige Hundert Meter von der französischen Grenze entfernt. Eine Streife der Bundespolizei wollte einen Fußgänger kontrollieren, der von Straßburg her über die Europabrücke gekommen war. Der Mann aber widersetzte sich, was ihm ein Strafverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einbrachte. Dem Amtsgericht Kehl kamen freilich Zweifel, ob die Kontrolle überhaupt zulässig war. Das Gericht rief deshalb den EuGH an.

Das oberste EU-Gericht hat deshalb die Befugnisse der Bundespolizei zur Ausweiskontrolle unter die Lupe genommen. Innerhalb eines Grenzstreifens von 30 Kilometern sowie etwa in Zügen und auf Bahnhören dürfen Bundespolizisten ohne konkreten Anlass die Identität von Personen feststellen. Zwar heben die Richter hervor, die Abschaffung der regelmäßigen Grenzkontrollen durch den Schengen-Kodex bedeute keineswegs, dass den Staaten die Bekämpfung der illegalen Einreise und der Schutz der inneren Sicherheit versagt wäre. Auf der anderen Seite aber dürfen dem Gericht zufolge die Polizeistreifen entlang der Grenze nicht in dem Maße ausgeweitet werden, dass praktisch jeder, der ins Land will, seinen Pass zeigen muss - ganz so, als müsste man noch an den Zollhäuschen aus alten Zeiten vorbei. In den Worten des EuGH: Die Aktivitäten der Bundespolizei an den Binnengrenzen müssen "sich eindeutig von den systematischen Personenkontrollen an den Außengrenzen der Union" unterscheiden.

Diese Mahnung ist nicht ganz neu. Schon 2010 hatte der EuGH davor gewarnt, aus den Bundespolizisten wieder heimliche Grenzbeamte zu machen. Daraufhin hatte beispielsweise das Verwaltungsgericht Stuttgart 2015 eine Kontrolle im ICE moniert. Die EU-Kommission hatte in Sachen Bundespolizei sogar ein Vertragsverletzungsverfahren in Gang gesetzt, das aber Anfang des Jahres eingestellt wurde, nachdem das Bundesinnenministerium seine Vorschriften angepasst hatte.

Dies könnte auch für den aktuellen Fall von Bedeutung sein, über den das Amtsgericht Kehl abschließend entscheiden muss. Zwar hält der EuGH einen Verstoß gegen EU-Recht für nicht ausgeschlossen, weil die Paragrafen im Bundespolizeigesetz sehr großzügig formuliert sind. Es wird aber auf ihre Umsetzung und auf Vorschriften zur konkreten Kontrollpraxis ankommen, namentlich ein umfangreiches Regelwerk zur "grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung". Das Bundesinnenministerium verweist darauf, dass die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten jüngst sogar zu Polizeikontrollen im Grenzgebiet ermutigt habe.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: