Schimon Peres:Die einzige Wahl

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Israels neuer Präsident: Nach 48 Jahren in der Politik gewinnt der Friedensnobelpreisträger und "letzte Optimist" Schimon Peres zum ersten Mal eine Abstimmung, nachdem er seinem Staat schon in Dutzenden Funktionen gedient hat.

Thorsten Schmitz

Genau vor einem Jahr wurde Schimon Peres in einem Interview gefragt, ob er nach seiner schmachvollen Niederlage bei der Präsidentenwahl im Jahr 2000 noch einmal versuchen werde, das höchste Amt im Staate zu ergattern.

Schimon Peres wird von Regierungschef Olmert geherzt: Nach 48 Jahren in der Politik ist er nun Präsident Israels. (Foto: Foto: AFP)

Die Antwort fiel denkbar knapp und deutlich aus: "Nein, auf keinen Fall. Ich bin als Vize-Premierminister vollauf damit beschäftigt, die Negev-Wüste urbar zu machen."

Zwölf Monate später ist das Haltbarkeitsdatum von Schimon Peres' Aussage abgelaufen. Im zweiten Anlauf, nachdem seine beiden Konkurrenten nach dem ersten Wahlgang ihre Kandidatur zurückgezogen hatten, wurde er von der Knesset am Mittwoch zum neunten Präsidenten Israels gewählt.

Das Nein von damals und der - geglückte - Versuch vom Mittwoch offenbaren zweierlei. Die Angst des Schimon Peres, nach 48 Jahren in der Politik erneut bei einer Wahl der Verlierer zu sein. Und dass Israel Peres gegenüber am Ende doch gnädig gewesen ist und ihm ein Happyend ermöglicht hat zur Krönung seiner politischen Laufbahn. In den vergangenen 48 Jahren hat Peres als inzwischen dienstältester Politiker dem Staat in Dutzenden Funktionen "gedient", das Wort benutzt er selbst.

Optimist und Träumer

Mehrfach als Außen- und Verteidigungsminister, zweimal als Premierminister und gerade eben noch als Vize-Regierungschef - doch gewonnen hat er nie eine Wahl. Premierminister wurde er durch Rotationsverfahren oder weil sein Freund Jitzchak Rabin von einem jüdischen Fanatiker ermordet worden war. Immer ist Peres nur nachgerückt oder eingesprungen.

Und wenn er sich zur Wahl hat aufstellen lassen, hat er verloren. Je fünfmal versuchte er, an die Spitze der Arbeitspartei gewählt zu werden, fünfmal scheiterte er. Vor sieben Jahren dann stand ihm der Schrecken ins Gesicht geschrieben, als er bei der Wahl zum Staatspräsidenten dem damals fast unbekannten Mosche Katzav unterlegen war. Wochenlang ließ sich Peres danach nicht blicken.

Seine Unpopularität in Israel steht im krassen Gegensatz zu den roten Teppichen, die man für Peres im Ausland ausrollt. Im Ausland wird er als Stimme Israels geschätzt, in Israel dagegen haftet ihm der Ruf an, arrogant zu sein. Sowieso bevorzugen viele Israelis erdverbundene, deftig auftretende Politiker mit stolzen Armee-Karrieren und haben nichts übrig für Peres' feine Anzüge und Krawatten.

So war man sich vor sieben Jahren sicher, dass Peres sich nun endgültig aus dem politischen Leben zurückziehen und um seine Frau Sonja kümmern werde, die ihn all die Jahrzehnte grundsätzlich nicht bei öffentlichen Auftritten begleitet hat.

Doch außer Politik kennt der aus Polen stammende Peres nichts. Sie ist sein Lebenselixier.

Andere Menschen in seinem Alter freuen sich, dass sie gesund und am Leben sind und spielen mit ihren Enkelkindern. In einem Interview mit der SZ hat der heute fast 84-Jährige dagegen einmal die Augen weit aufgerissen und auf die Frage nach Urlaub zurückgeblafft: "Soll ich Bridge spielen? Mich an den Strand legen? Wenn ich Urlaub brauche, lese ich ein Buch. Ich schwimme lieber im See der Weisheit als in salzigem Meerwasser."

Also hat Peres sich damals zusammengerissen, wie es seine Art ist, und sich keinerlei Gefühle anmerken lassen, was er sehr gut kann. "Ich habe meine Gefühle im Griff", hat er einmal gesagt, als er nach seiner Stimmung gefragt wurde. Selbst in Israels deprimierendsten Zeiten während der jüngsten Intifada, als Dutzende Israelis bei Selbstmordanschlägen starben, hat Peres kein einziges Mal öffentlich Mitleid gezeigt. Sondern von "Rückschlägen" gesprochen, die ein "wichtiges Element" von Krisen seien. Er sei, hat er einmal auf die Frage eines Reporters des New Yorker geantwortet, "nicht besonders beeindruckt von Krisen. Das Leben ist schwer, aber im Vergleich wozu?"

Weil Peres also die Kunst besitzt, das Heute auszublenden und in der Zukunft zu leben, hat er all die vergangenen Jahrzehnte unbeschadet und stoisch überstanden. Jene Jahrzehnte, in denen Israel mehrere Kriege gefochten und er sämtliche Wahlen verloren hat. Peres, der ein gleichnamiges Friedenszentrum betreibt, israelisch-palästinensische Jugendfußballspiele sponsert und nicht im Internet surft, weil er das für Zeitverschwendung hält, hat sich seine Vision vom "neuen Nahen Osten"' zum Bestandteil seines Alltags gemacht.

Selbst zwei Intifadas, der derzeit laufende Bürgerkrieg in den Palästinensergebieten, das Scheitern des von ihm mitinitiierten Oslo-Friedensprozesses, der Trennzaun im Westjordanland und der Libanonkrieg im vergangenen Sommer können ihn nicht davon abhalten, an eine rosige Zukunft im Nahen Osten zu glauben. Man nennt ihn daher auch: der letzte Optimist, der Träumer.

Sein Buch ist ein Ladenhüter

In seiner Vision, die er 1993 als Buch veröffentlicht hat, blüht die Region als mächtige Wirtschaftsmacht, die sogar der Europäischen Union Konkurrenz macht. Libanon, Syrien, Israel, die Palästinensergebiete, Ägypten und Jordanien sind darin eine Wirtschaftseinheit, treiben Handel und Geschäfte miteinander - und keine Kriege. Sogar von seiner Wunschvorstellung ist er bis heute nicht abzubringen, dass Israel eines Tages Mitglied in der Arabischen Liga werde.

In seinem Buch, ein Ladenhüter übrigens, verrät Zukunftsmensch Peres auch, wie der neue Nahe Osten zustande kommen könnte: "Die Staatsführer müssen die Konflikte von gestern beenden und in Bildung investieren, nicht in Waffen." Soweit die Theorie.

In der Praxis ist Peres seit dem gestrigen Mittwoch der machtloseste Mensch im politischen System Israels. Wie in Deutschland auch, so hat der israelische Staatspräsident vorwiegend repräsentative Aufgaben, begrüßt neue Botschafter, verabschiedet die alten, zündet an Chanukka Kerzen in Jerusalem an und soll sich politisch neutral geben.

Es fällt schwer zu glauben, dass Peres mit dem Maulkorb von Amts wegen wird zurecht kommen können. In all den Jahrzehnten war er der redefreudigste Politiker Israels, der auch deshalb von Journalisten so geschätzt wurde, weil er den hässlichen Nahost-Konflikt in hübsche, zitierfähige Bonmots zu verpacken wusste.

In all den Jahrzehnten hat er sich selbst als Stehaufmännchen präsentiert und seine Niederlagen in Siege umformuliert mit dem selbstsuggestiven Standardsatz: "Ich habe Wahlen verloren, aber nie eine Kampagne." Zum ersten Mal in seinem Leben trifft seit gestern beides zu.

© SZ vom 14.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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