Schily-Interview:Teil 3

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SZ: Die Integration hat einen Rahmen - die Verfassung. In unserem verfassungsrechtlichen Gefüge werden derzeit zwar Religion, Sprache und Kultur der ausländischen und eingebürgerten Bewohner toleriert, aber nicht gefördert. Es gibt kein Recht auf Schutz und Förderung der Herkunftssprachen, der Religionen und der Kulturen der Zuwanderer, wie das in anderen Staaten der Fall ist, auf die man bei der Ausarbeitung des Zuwanderungsgesetzes geschaut hat - Kanada, Großbritannien, Niederlande. Nur alteingesessene kleine Minderheiten - Friesen, Sorben, Roma, Dänen - werden gefördert. Sollte sich das im Zuge des großen Integrationskonzeptes nicht ändern?

Schily: Nein. Wir haben autochthone Minderheiten, Sie haben sie genannt. Die sollen gefördert werden. Und da gibt es ja eine beachtliche Erfolgsbilanz. Ich war gerade bei den Sorben und habe entdeckt, dass ein Teil meiner Familie mit den Sorben verbunden ist. Ich habe also sogar etwas Sorbisches in mir. Aber es wäre verfehlt, wenn wir die Entstehung neuer geschlossener Minderheiten fördern würden.

SZ: Konkret: Das sorbisch-deutsche Theater in Bautzen erhält selbstverständlich staatliche Unterstützung. Deutsch-kurdische oder deutsch-türkische Spielstätten gibt es nicht. Oder: Wer über ein TV-Gerät mit Zwei-Kanal-Ton verfügt, kann im Sendegebiet des MDR das Sandmännchen auf Sorbisch empfangen. Warum soll man zum Beispiel den Türken so etwas nicht gönnen? Die zahlen doch auch ihre Rundfunk- und Fernsehgebühren, zählen aber als Zielgruppe kaum.

Schily: Nein, nein. Integration hat die Einbeziehung in den deutschen Kulturraum zum Ziel. Da können wir nicht noch alle möglichen Sprachen för- dern. Das führte doch zu einem völligen Chaos.

SZ: Es gibt ein, zwei Minderheiten-Hauptsprachen.

Schily: Ich bin entschieden dagegen, irgendeine neue Minderheit in Deutschland zu etablieren.

SZ: Mit dieser Haltung schaden Sie dem Standort Deutschland. Sprachkenntnisse sind doch wichtige Ressourcen für Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft. Diese Kompetenzen können Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb verbessern.

Schily: Selbstverständlich sind Fremdsprachen-Kenntnisse von Vorteil. Aber das heißt nicht, dass wir Parallelgesellschaften fördern sollten.

SZ: Es geht um die Förderung der Herkunftssprache als zweiter Muttersprache neben dem Deutschen.

Schily: Ich will nicht, dass sich eine homogene Minderheit entwickelt, deren erste Sprache Türkisch ist. Die Türken müssen hineinwachsen in unseren Kulturraum. Die Muttersprache muss Deutsch sein oder werden. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin sehr dafür, dass unterschiedliche interkulturelle Kompetenzen entstehen. Es muss auch niemand seine Herkunft verleugnen.

SZ: Im Zusammenhang mit der Verfassungsreform nach der deutschen Einheit wurde darüber diskutiert, den Minderheitenschutz ausdrücklich in die Verfassung aufzunehmen. Das wurde abgelehnt.

Schily: Und dabei bleibt es.

SZ: In einer Zeit, in der wir alle neuen Nationalstaaten Europas von der zentralen Bedeutung des Minderheitenschutzes zu überzeugen versuchen?

Schily: Minderheitenschutz heißt doch nicht, dass wir neue Minderheiten fördern müssen und dass jemand, der hierher kommt, eine Minderheit bilden kann. Integration heißt für mich: Der Zuwanderer lebt sich in die deutsche Kultur, in die deutsche Sprache ein. Ich möchte in Deutschland keine Entwicklung haben, in der viele Sprachen nebeneinander bestehen und die uns am Ende große Spannungen und Konflikte bescheren würden.

SZ: Wie also geht es mit der Integration weiter?

Schily: Ich sage Ihnen ganz offen: Die beste Form der Integration ist Assimilierung.

SZ: Assimilierung heißt: Die Türken übernehmen die Traditionen, die Wert- und Verhaltensmuster der Deutschen.

Schily: Assimilierung heißt wörtlich Anähnlichung. Das kann in sehr unterschiedlichen Formen vor sich gehen. Aber am Ende werden sich die Menschen in einem gemeinsamen Kulturraum ähnlicher.

SZ: Mustafa nennt sich Hans, schwört seinem bisherigen Glauben ab, wird Protestant, Katholik oder Atheist?

Schily: Das muss ja nicht sein. Assimilierung heißt aber zunächst einmal, dass eine gewisse Anpassung und Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse stattfindet. Dabei verändern sich dann natürlich mehr oder weniger sachte auch die hiesigen Lebensverhältnisse.

SZ: Bisher gibt es in der Regel keinen staatlich anerkannten Religionsunterricht für Muslime an den Schulen. Soll sich das ändern?

Schily: Das wäre wünschenswert. Mir wäre es lieber, wir hätten einen staatlich überwachten muslimischen Religionsunterricht an den Schulen, anstatt das den Koranschulen zu überlassen, die weitgehend unserer staatlichen Aufsicht entzogen sind.

SZ: Das heißt, staatliche Ausbildung von islamischen Religionslehrern?

Schily: Auch das wäre wünschenswert. Vielleicht könnte das dazu beitragen, dass sich ein europäischer Islam herausbildet, der auch die Errungenschaften der europäischen Aufklärung in sich aufnimmt.

SZ: Aufklärung heißt aber auch, dass jeder nach seiner Fasson, mit seiner Kultur selig werden darf. Das kann viele Vorteile bringen, zum Beispiel den: Es wird zwischen den Industrieländern einen großen Wettbewerb um hochqualifizierte Zuwanderer geben. In diesem Wettbewerb um die Besten wird es auch eine Rolle spielen, ob es im Gast- oder Aufnahmeland ethnische Communities und ethnische Infrastrukturen gibt.

Schily: Genau das will ich nicht. Das ist das Gegenteil von Integration.

SZ: Das würde aber den Angeworbenen den Start im neuen Land erleichtern.

Schily: Das mag bei oberflächlicher Betrachtungsweise so sein. Aber genau das führt zu ganz großen Spaltungstendenzen in der Gesellschaft. Es wäre verheerend, wenn sich solch eine Entwicklung bei uns abzeichnen würde.

SZ: Wollen Sie Kreuzberg auflösen?

Schily: Nein. Kreuzberg ist ja keineswegs ethnisch homogen. Es ist sicher so, dass wir in einigen Stadtteilen von großen Ballungsgebieten eine zu starke Konzentration von Zuzügen einer bestimmten Ethnie haben, das ist eher gefährlich. Wir müssen versuchen, das anders zu gestalten.

SZ: Wie? Es gab schon einmal Vorschläge, Stadtteile, in denen der Ausländeranteil hoch ist, für weiteren Zuzug zu sperren.

Schily: Das ist nicht praktikabel. Wie soll man denn das machen? Wir haben Freizügigkeit in unserem Land. Mit solchen planwirtschaftlichen Modellen kommen wir in der Diskussion um Zuwanderung nicht weiter. Mit Quoten kommt man nicht zurecht: Bei der Zuwanderung insgesamt nicht, aber auch nicht in Städten und auch nicht in Schulklassen. Probleme können wir nicht dadurch lösen, dass wir nach DDR-Vorbild eine Planungskommission einsetzen, die eine Quote festsetzt - damit landet man immer in der Sackgasse.

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