Sarrazin: Abschied aus Berlin:"Brosamen vom Tisch der Reichen"

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Manager verdienen nicht zu viel, so ist nun mal unsere Wirtschaft: Finanzsenator Sarrazin nimmt im Lea-Rosh-Salon Abschied von Berlin.

Thorsten Denkler

Thilo Sarrazin hat noch Freunde in Berlin. Zumindest an diesem Montagabend im Westberliner Hotel Savoy mit seinen Kristalleuchtern und roten Wänden. Lea Rosh hat den noch amtierenden Finanzsenator der Pleitestadt in ihren Salon geladen, zu dem sie seit zehn Jahren monatlich einlädt.

Thilo Sarrazin: Lea Rosh konfrontierte ihn zum Abschluss nochmal mit seinen verbalen Grausamkeiten. (Foto: Foto: dpa)

Der Sozialdemokrat soll seine Abschiedsvorstellung in dieser illustren Runde geben. Von Mai an arbeitet Sarrazin für die Bundesbank in Frankfurt. Es ist sein dritter Besuch im Salon der streitbaren Publizistin Rosh, die eine der wichtigsten Wegbereiterinnen des Holocaust-Mahnmals in Berlin war.

Im Gartensalon des Hotels sind die Hemden der Gäste gebügelt, die Hosen haben Falten an den richtigen Stellen. An den Ohrläppchen und Fingern der Damen funkelt es etwas mehr als üblich, die Herren sind in Schlips und Kragen. Der Eintritt kostet zehn Euro, 0,4 Liter Rotwein sind für vier Euro zu haben. Ein Salon-Sonderpreis.

Die Damen und Herren sind in Plauderstimmung noch weit bevor der Ehrengast eintrifft. Die Banken und die Streiks und So-geht-das-nicht und die Bonuszahlungen und die Cayman-Inseln. Wortfetzen einer allgemeinen Krisenstimmung.

Hier sitzen die einen, die es immer schon wussten - und andere, die das alles nicht für möglich gehalten hätten, diese vielen Milliarden-Verluste. Die meisten sind in einem Alter, in dem sie die Krise nicht mehr stören muss. Ihre Renten sind sicher.

Fünf Angebote für ein Hartz-IV-Kochbuch

Da lässt es sich gut plaudern und lachen, als Thilo Sarrazin mit wenigen Minuten Verspätung eintrifft und erst mal sagen muss, was es mit den 16 bis 18 Grad auf sich hat, bei denen doch ein Hartz-IV-Empfänger einen Pullover anziehen könne, wenn es ihm in der Wohnung mal zu kalt wird. "16 bis 17 Grad", verbessert Sarrazin. Roshs Gäste finden das lustig.

Noch mehr lachen sie, als Rosh dem Senator Schal und Mütze überreicht - als Abschiedsgeschenke. Sarrazin setzt die Mütze gleich auf, rot ist sie, mit weißen Streifen. Steht ihm nicht wirklich, aber "kann man immer brauchen", sagt der Senator und ruckelt sich auf dem roten, mit Goldverzierungen überladenen Barocksofa zurecht.

Nicht, dass er nicht wüsste, wovon er spricht. Die Gradzahlen seiner eigenen Wohnung kennt Thilo Sarrazin auf die Stelle nach dem Komma genau. Morgens zwischen 18,5 und 17,5 Grad. Abend schon mal 19 bis 19,8 Grad. Im Schlafzimmer 16 und im Arbeitszimmer 17 Grad, aber da ist er die Woche über ja nicht. "Gesunde Temperaturen", nickt Rosh. Zuhörer nicken mit.

Als Mann der klaren Worte führt Lea Rosh den Senator ein und konfrontiert Sarrazin nacheinander mit verbalen Grausamkeiten, auf die er jüngst das Urheberrecht erworben hat.

"Das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern ist ihr Untergewicht", zitiert Rosh. Sarrazin führt aus, das er damit ja nicht gesagt habe, alle Hartz-IV-Empfänger seien zu dick. "Aber sie sind zumindest nicht unterernährt." Fünf Angebote habe er nach dem Satz bekommen, an einem Hartz-IV-Kochbuch mitzuarbeiten. "Ich habe alle abgelehnt."

Er geht im Übrigen davon aus, dass eine Person mit 130 Euro im Monat für Lebensmittel auskommen kann, Getränke nicht inklusive. Murren im Saal. Jetzt schütteln doch einige den Kopf. 130 Euro sind das, was der Deutsche im Schnitt für Lebensmittel im Monat ausgibt, referiert Sarrazin. Das Murren und Kopfschütteln erreicht eine höhere Stufe. Er habe mal mit seiner Frau eingekauft - bei Plus. Eine Dame ruft "Oh", als hätte ihr gerade ein Punk erzählt, dass Ratten wirklich nette Haustiere sein können.

Finanzexperte Thilo Sarrazin rechnet vor: Seine Frau hat für zwei Tage für zwei Personen eingekauft für 17,40 Euro. Was damit geht: frisches Gemüse, Brot, Wurst aufs Brot, Kartoffeln und ab und an auch ein Stück Fleisch. "Da hat er recht", ruft einer dazwischen - ein Arzt, wie sich später herausstellt. Was damit nicht geht: Rinderfilet, guter Rotwein und auswärts essen gehen. Zustimmendes Nicken. Sarrazin-Gegner sind heute ganz weit weg.

Aber weiter mit Roshs Sammlung von Sarrazin-Klassikern: "Berlin ist eine Stadt mit angeschlossener Landschaftspflege", zitiert ihn Rosh. Sarrazin amüsiert das immer noch. Da hätten sich die Brandenburger gefreut, weil sie zeigen konnten, wie arrogant die Berliner sind, sagt er und setzt dann nach: Andererseits wohnt in Brandenburg kaum noch jemand, gegenüber dem man als Berliner arrogant sein kann.

Es ist auch noch einiges zu erfahren über die wahren Beweggründe Sarrazins, Berlin zu verlassen und künftig die Geschicke der Bundesbank in Frankfurt mitzubestimmen: "Die schöne Aussicht auf den Taunus, Panoramafenster im Büro, ein großer Schreibtisch und ganz weit weg von Berlin." Da könne er sich jetzt endlich Sorgen um die "allgemeinen Weltläufe" machen.

Über Opel (Sarrazin: Im Zweifel pleitegehen lassen) und Schaeffler (Sarrazin: "Ich hätte auch geweint") kommt Rosh endlich zu den millionenschweren Bonuszahlungen an Bankmanager, deren Arbeitgeber Milliardenverluste machen. Sie könne das nicht verstehen, echauffíert sich Rosh. "Was wir denn da jetzt machen können?", fragt sie.

Sarrazin kann die Kritik emotional nachvollziehen. Aber wenn sich Rosh schon so aufregen muss, will der SPD-Mann ihr den Gefallen tun und deutlich werden: "Die, die sich darüber aufregen, zeigen, dass sie nicht wissen, wie unser Wirtschaftssystem funktioniert." In diesem Moment schaut Lea Rosh, als wüsste sie gerade nicht genau, ob es wirklich eine gute Idee war, diesen Mann einzuladen.

Solange der Staat nicht mit eigenem Geld drin ist, könne jeder Aktionär frei bestimmen, wie viel Geld er den Managern seines Unternehmens bezahlt, doziert Sarrazin, als gebe er gerade Nachhilfe in "Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung". Am Ende sei das, was die Manager bekommen, nur ein Bruchteil dessen, was die Eigentümer an Gewinnen einstreichen. Oder, mit Sarrazins Worten: Was Ackermann, Schrempp und andere bekommen, sei nur "der Brosamen vom Tisch der Reichen".

Na gut, dann kann er auch gleich sagen, wie die Wirtschaftskrise zu bewältigen ist. Sarrazin antwortet prosaisch: "Da stehen Sie am Strand, und fragen den Mann, ob er ein Rezept gegen die Brandung hat. Nein, hat er nicht. Er weiß nur, in sechs Stunden wird das Meer wieder ruhig sein."

"Sie sind wirklich ein richtig beliebter Politiker hier in Berlin", schmeichelt Moderatorin Rosh in den aufbrandenden Schlussapplaus hinein. Thilo Sarrazin weiß, wie er das nehmen muss: "Ich hätte es nie geglaubt."

Im Grunde kann es ihm ohnehin egal sein. Bald sitzt er an seinem großen Schreibtisch in der Bundesbank und genießt die Aussicht durch die Panoramafenster auf den Taunus. Montags fährt er von Berlin hin, freitags zurück. Mit der Bahncard 100, erster Klasse. Dann kann sein Nachfolger im Senat sehen, wo er bleibt.

Ob der neue Berliner Finanzchef auch zu Lea Rosh darf, ist noch nicht entschieden. Der "müsste genauso komisch sein, wie Sie es sind", sagt die Frau aus dem Salon.

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