Russlands korrupte Justiz:Im Namen des Geldes

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Ausgekungelte Urteile, bestochene Richter: Präsident Medwedjew will Russlands Justiz reformieren - denn das Volk vertraut ihr längst nicht mehr.

Frank Nienhuysen

Die Rechnung erhielt Wjatscheslaw Trofimow im Restaurant. Der Moskauer Staatsanwalt hatte nach einem Bericht der Zeitung Kommersant von einem Bürger drei Millionen Dollar verlangt, damit dieser von einem drohenden Strafverfahren wegen Schmuggels entlastet werde. Später habe er die Forderung auf 500.000 Dollar verringert, bei einem Teil der Zahlung nahmen ihn die Ermittler schließlich vor zwei Wochen fest, mitten in einem Moskauer Speiselokal.

Spektakuläre Prozesse wie der 2005 gegen den Ölmilliardär Michail Chodorkowskij gibt es in Russland häufig. Doch fair geht es in den Gerichtssälen offenbar nur selten zu. (Foto: Foto: Reuters)

Im russischen Justizsystem geht manches nicht mit rechten Dingen zu, die Bevölkerung weiß das schon lange. Ihr Vertrauen in die Gerichte ist so schwer erschüttert, dass kürzlich in einer Umfrage des Lewada-Zentrums 65 Prozent der Befragten antworteten, dass sie nicht an ein faires Gerichtsurteil in Russland glaubten. Weshalb Präsident Dmitrij Medwedjew nun eine Justizreform propagiert, die zu einem der größten Prüfsteine seiner Amtszeit werden dürfte.

"Durch Druck, Anrufe oder Geld"

Ungerechtfertigte Entscheidungen fielen in Russland häufig "durch Druck, Anrufe oder Geld", sagte Medwedjew bereits zu Beginn seiner Amtszeit im Mai. Die Richter müssten unabhängiger und ihre Urteile besser umgesetzt werden, um das Vertrauen der Menschen zu stärken. Medwedjew ist selbst Jurist, sein Wunsch nach einem effektiveren Rechtswesen mit durchschaubaren Verfahren und gerechten Urteilen entspringt daher auch seiner eigenen Biografie.

Enttäuscht von den nationalen Behörden wenden sich viele Russen seit Jahren mehr und mehr dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu, in der Hoffnung, dort jenes Recht zu finden, das sie in ihrer Heimat vergeblich suchen.

Erst Mitte Dezember hatte das Straßburger Gericht Russland zur Zahlung von 60000 Euro verurteilt - Schmerzensgeld für den Angehörigen eines in Tschetschenien verschleppten Mannes, dessen Fall in Russland nicht ordentlich ermittelt worden sei. Gegen kein anderes Land seien in Straßburg im Jahr 2007 derart viele Beschwerden eingereicht worden wie gegen Russland, teilte das Gericht mit. Medwedjew ist das alles ziemlich unangenehm.

Druck aus dem gewaltigen Kreml-Apparat

Doch Mitarbeiter seines eigenen gewaltigen Kreml-Apparats tragen zum schlechten Ruf der russischen Justiz durchaus bei. Im Frühjahr hatte in Jelena Waljawina erstmals eine hochrangige russische Justizbeamtin eingeräumt, dass aus dem Kreml Druck auf sie ausgeübt habe. Als Zeugin in einer Verleumdungsklage schilderte Waljawina, die damalige Vizevorsitzende des Obersten Schiedsgerichtes, wie sie von einem Referenten des Kremls gebeten worden sei, ein Verfahren gegen ein Unternehmen niederzuschlagen.

Ein anderer Fall versuchter Rechtsbeugung wurde zwei Tage vor Weihnachten bekannt. Einer Richterin aus Wolgograd wurden die Vollmachten entzogen, nachdem sie sich gewehrt hatte, abends Gerichtsfälle mit ihrem Vorgesetzten vorab "zu besprechen".

Medwedjew will nun die Praxis ausgekungelter Urteile, unfairer Prozesse und bestechlicher Richter beenden und hat dazu eine Reihe von Vorschlägen gemacht. Auf dem russischen Juristenkongress Anfang Dezember regte er an, dass Richter künftig auf unbestimmte Zeit ernannt werden sollten anstatt auf drei Jahre. Zur Entlastung der überfüllten Gefängnisse setzte er sich dafür ein, kleinere Delikte mit Alternativen wie Hausarrest oder elektronischen Fesseln zu bestrafen.

Die Gerichte sollen schneller, "mit höherer Qualität" und transparenter entscheiden, im Internet sollen Bürger sich über die Arbeit des Gerichts informieren können. Auch die kostenlose Rechtshilfe für Menschen mit geringem Einkommen will der Kremlchef ausweiten. Als sei die russische Justiz insgesamt in einem vorzeigenswerten Zustand, sprach Medwedjew lediglich von einem "Fein-Tuning" und von "Korrekturen".

Freisprüche sind selten

Damit wollte er wohl vor allem verhindern, der eigenen Zunft die Motivation zu nehmen, denn in einem solch gewaltigen Apparat wie der russischen Justiz bedeuten für einen Präsidenten selbst Korrekturen schon ein ganzes Lebenswerk. Über mehr als eine Million Fälle entscheiden die russischen Gerichte jedes Jahr, und Medwedjew selber räumte ein, dass sie hin und wieder milder urteilen könnten. Die Quote von Freisprüchen liegt in Russland bei weniger als einem Prozent und damit mehr als zehnmal so niedrig wie in westeuropäischen Ländern.

Das Prinzip des Bestrafens hat in Russland Tradition. "Theoretisch gelten bei uns alle Grundprinzipien wie überall - die Unschuldsvermutung, die Unabhängigkeit der Gerichte - praktisch aber ist bei uns alles auf die Beschuldigung ausgerichtet", sagt die Moskauer Anwältin Anna Stawizkaja. "Für uns Anwälte ist es sehr schwierig, sich für einen Freispruch der Mandanten einzusetzen, selbst wenn wir von ihrer Unschuld überzeugt sind."

Überrascht und kritisch verfolgte Stawizkaja daher, wie das russische Parlament kürzlich ein Gesetz verabschiedete, das die Zuständigkeit von Geschworenengerichten einschränkt. Demnach werden diese künftig nicht mehr in Fällen von Terrorismus und Landesverrat eingesetzt. Geschworenengerichte, die 1993 erstmals nach vielen Jahrzehnten überhaupt wieder in Russland zugelassen wurden, gelten als unabhängiger und weniger voreingenommen; die Quote der Freisprüche liegt bei 17 Prozent und damit nach dem Geschmack der kremltreuen Partei Einiges Russland offenbar deutlich zu hoch. "Es ist wichtig, den Einfluss im Bereich der organisierten Kriminalität und der bewaffneten Gruppen zu stärken, denn die Terrorgefahr wächst und wächst", sagte ein Mitglied des Sicherheitsausschusses der Partei zur Begründung des Gesetzentwurfs.

Dass Richter, Anwälte und Geschworenen immer wieder unter Druck gesetzt werden, ist als großes Problem bekannt. Doch die Anwältin Anna Stawizkaja befürchtet, "dass die Geschworenengerichte abgeschafft werden könnten. Das, was ich bisher sehe, hat noch wenig mit einer Justizreform zu tun", sagt sie. "Denn bisher erkenne ich nur eine weitere Verhärtung der Gesetzgebung. Und das schafft nicht mehr Vertrauen in das Rechtswesen, sondern weniger."

© SZ vom 02.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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