Russland:Protestwahl nach System

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In Putins "gelenkter Demokratie" war der Erfolg der Nationalisten programmiert.

(SZ vom 9.12.2003) - Am Ende verlor Wladimir Schirinowskij noch einmal die Fassung. "Raus hier", brüllte er eine Frau im Wahllokal an. Die Frau, Mitglied der Wahlkommission, hatte ihn lediglich gebeten, keine Interviews im Stimmlokal zu geben. "Sie ist verrückt. Zeigt mir ein Gutachten von ihrem Psychiater", schrie der Parteichef.

So ging ein Wahlkampf zu Ende, den Schirinowskij mit allen Mitteln ausgetragen hatte, auch mit den Fäusten. In einer Fernsehdiskussion mit dem programmatischen Titel "Redefreiheit" hatte er zuerst Beleidigungen ausgeteilt und, nachdem die Kameras abgeschaltet waren, mit Hilfe seiner Leibwächter auch Prügel. Das alles hat ihm und seiner Partei mit dem irreführenden Namen "Liberaldemokratische Partei Russlands" (LDPR) nicht geschadet. Mit 11,6 Prozent der Stimmen kam sie nach Angaben der Wahlkommission auf Platz drei.

In einem Wahlgang, der ansonsten recht vorhersehbaren Pfaden gefolgt war, ist der Erfolg des Polterpopulisten Schirinowskij eine von zwei Überraschungen. Für die andere sorgte der Erfolg einer Partei, die es vor ein paar Monaten noch gar nicht gegeben hat. Sie nennt sich "Rodina", Heimat - und wie schon der Name vermuten lässt, fischte sie nach Wählern aus dem eher nationalistischen Milieu. Das tat sie mit so großem Erfolg, dass sie 9,1 Prozent der Stimmen und den vierten Platz in der Parteien-Rangfolge gewann. Den Liberalen Boris Nemzow veranlasst das, Alarm zu schlagen: "Eine große Zahl von National-Sozialisten" ströme in die Duma.

Strategie gegen die KP

Tatsächlich tun sich weder LDPR noch das "Bündnis Heimat" als besonders demokratisch hervor. Bei einem ähnlichen Ergebnis im Westen wäre daher wohl von einer Protestwahl gegen die etablierten Demokraten die Rede. In Ermangelung einer etablierten Demokratie liegen die Dinge in Russland freilich etwas komplizierter.

Im von Präsident Wladimir Putin erschaffenen System einer "gelenkten Demokratie" darf nichts dem Zufall überlassen bleiben - schon gar nicht eine Protestwahl. "Der Kreml hat eine Reihe von Gruppierungen geschaffen, um die Kommunisten zu zersplittern und ihnen Stimmen wegzunehmen", meint Nikolaj Petrow von der Carnegie-Stiftung in Moskau. "Für jede Wählerstimmung gibt es eine."

Das "Heimat"-Bündnis war demnach zuständig für eine besonders verbreitete Laune - nämlich jene gegen die Oligarchen, also die steinreichen Wirtschaftsführer in Russland. "Den Wohlstand zurück ans Volk", "Mehr soziale Gerechtigkeit" - mit solchen Slogans warb das Bündnis "Heimat" um Wähler.

Die Verhaftung des Öl-Magnaten Michail Chodorkowskij wegen angeblicher Steuerhinterziehung schuf dabei ein Klima, in dem die politische Neugründung bestens gedeihen konnte. Als eloquenter Überläufer von den Kommunisten war einer der beiden "Rodina"-Chefs, Sergej Glasjew, zudem der richtige Mann, gerade der KP möglichst viele Wähler abspenstig zu machen.

Mit ihrem zweiten Chef bediente "Rodina" wiederum jene, die von einem Wiedererstarken Russlands träumen. Es ist Dmitrij Rogosin, der sich als Putins Beauftragter für Kaliningrad einen Namen als kompromissloser Sachwalter russischer Interessen gegenüber dem Westen gemacht hat.

Auch in der "gelenkten Demokratie" gibt es Unwägbarkeiten

Russische Liberale halten die "Heimat"-Partei zwar für eine reine Kreatur des Kreml, allerdings für eine, die den Mächtigen schon vor der Wahl unheimlich geworden ist. Der Moscow Times und anderen fiel auf, dass die extensive TV-Berichterstattung über die Partei etwa eine Woche vor der Abstimmung ein jähes Ende fand. Die Linkspopulisten sollten die Kommunisten offenbar schwächen, aber dabei selbst nicht zu stark werden.

Doch auch in der "gelenkten Demokratie" gibt es Unwägbarkeiten - wie auch das Wiedererstarken Schirinowskijs zeigt, der in den vergangenen Wahlen stets verloren hatte. "Von diesem Tag an gibt es nur eine rechte Partei in der Duma, die LDPR", schwärmte Schirinowskij nach der Wahl. Fest jedenfalls steht, dass der Mann, der einst für Polygamie im Interesse des Kinderreichtums und für Grenzkorrekturen zu Ungunsten Polens eintrat, Wortführer der Extremen in der Duma bleibt.

Für den Kreml ist das kein Problem. Die Partei, die in den letzten Jahren der Sowjetunion angeblich als KGB-Gründung entstanden ist, übt sich zumeist im Maulheldentum. Wenn es darauf ankommt, stimmt sie stets im Sinne des Kreml. Ganz so verlässlich ist das "Heimat"-Bündnis womöglich nicht. Eines aber hat es schon klar gemacht: Bei der Präsidentenwahl im Frühjahr will es Putin unterstützen.

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