Russland nach der Duma-Wahl:Der Geheimniskrämer

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Noch ist ungewiss, wie und wozu Putin den Wahlsieg seiner Partei "Einiges Russland" nutzen wird. Er vertraute nicht auf Argumente, sondern auf die Stärke des Apparats - und hat eine Chance vertan.

Daniel Brössler, Moskau

In den Tagen vor der Parlamentswahl ist in Russland viel von "Bürgerpflicht" die Rede gewesen. Die Vokabel ist aufschlussreich, denn nach dem Verständnis der Mächtigen war die Stimmabgabe nicht Recht, sondern Schuldigkeit des Bürgers. Die Bürger sind der Pflicht nun nachgekommen, eine Wahl aber hatten sie nicht wirklich. Weder hatte die Opposition fairen Zugang zu den Medien noch schreckte die Obrigkeit vor Einschüchterung und Erpressung zurück. Präsident Wladimir Putin hat die Russen persönlich zur Wahl seiner Partei Einiges Russland mobilisiert. Dabei vertraute er nicht auf die Kraft der Argumente, sondern auf die Stärke des Staatsapparates.

Nötig gehabt hätte er das nicht. Auch unter gerechteren Bedingungen hätte Einiges Russland die Wahl gewonnen. Eine große Zahl der Russen befürwortet die Politik Putins. Der Präsident aber hat die Chance vertan, dies in einer freien Wahl feststellen zu lassen.

Nicht um ein demokratisches Mandat ging es ihm, sondern um ein Plebiszit für die Fortführung eines autoritären Kurses. Dafür aber genügte kein gutes Resultat. Es musste ein überragender Sieg werden. Nur dieser gibt Putin wirklich freie Hand für die Operation Machterhalt.

Diese Operation ist deshalb so schwierig, weil Russlands Verfassung aus einer Zeit stammt, in der die Macht Einzelner noch begrenzt werden sollte - auch zeitlich. Mehr als zwei Perioden hintereinander soll kein Präsident über Russland herrschen. Im Mai läuft Putins Amtszeit aus, bei der Wahl im März darf er nicht mehr antreten.

Schwieriges Kunststück

Putin möchte nun das Kunststück vollbringen, sich formal an die Verfassung zu halten und doch die Macht nicht abzugeben. Die Bürgerpflicht der Russen bestand also vor allem darin, jedwede Entscheidung Putins zu legitimieren. Demütig muss das Volk nun warten, wie diese ausfällt.

Putin ist ein professioneller Geheimniskrämer, er liebt den Überraschungsangriff. Niemand soll vor der Zeit wissen, ob er Parlamentspräsident, Regierungschef, "nationaler Führer" oder durch Beugung oder Änderung der Verfassung doch wieder Präsident zu werden wünscht. Stabilität in Russland könne nur Wladimir Putin garantieren, hat die Propaganda den Russen eingehämmert, ohne ihn versinke das Land im Chaos.

Zu befürchten ist, dass der Kremlchef selber daran glaubt. Er könnte daher versucht sein, zum Zwecke des Machterhalts das politische System seines Landes gefährlichen Experimenten zu unterziehen. Die zu befürchtende Installation einer Marionette im Kreml wäre so ein Experiment.

Putin denkt womöglich daran, als Chef von Einiges Russland im Stile eines Generalsekretärs der KPdSU die Fäden in die Hand zu nehmen und den Präsidenten zur Repräsentationsfigur zu degradieren. Das Ergebnis wäre ein Kapitalismus mit sowjetischem Antlitz.

Vor der Wahl hatte Putin den Russen zugerufen, er verlasse sich auf sie. Ihnen bleibt nun nichts, als sich darauf zu verlassen, dass Putin Vernunft bewahrt.

© SZ vom 3.12.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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