Russland:Kosmischer Ärger

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Rast vor mächtiger Kulisse: Touristen am Kosmonauten-Museum in Moskau. Russland ehrt dort auch Juri Gagarin, 1961 erster Mensch im Weltall. (Foto: Maxim Shipenkov/dpa)

Der Bau eines neuen Weltraumbahnhofs ist ein russisches Prestige-Projekt - doch inzwischen häufen sich die Probleme.

Von Frank Nienhuysen, München

Dmitrij Rogosin macht sich an diesem Wochenende auf eine lange Reise. Etwa sieben Stunden Flug eines russischen Vizepremiers bis in die Nähe der chinesischen Grenze ist viel Aufhebens dafür, dass er auf einer Baustelle in der fernöstlichen Provinz nach dem Rechten schauen will. Dort werkeln Arbeiter an einem Projekt namens Wostotschny (der Östliche), allerdings auch an Russlands Selbstbewusstsein einer großen Nation.

Der Bau des neuen Weltraumbahnhofs, das hat Präsident Wladimir Putin klargemacht, ist derzeit das wichtigste Prestige-Projekt des Landes. Schon im Dezember soll von Wostotschny aus die erste Sojus-2-Rakete ins All aufsteigen. Russland passt es schon lange nicht mehr, dass es "als Weltraum-Macht" (Putin) auf den nur gepachteten Startplatz Baikonur in der kasachischen Steppe angewiesen ist. Russland will autark sein. "Wostotschny erlaubt die völlige Unabhängigkeit der russischen Raumfahrt", sagte Putin, und, was die Sache aus Moskauer Sicht nicht kleiner macht: Es sei "das Schaufenster für ein modernes Russland", sagte sein Premier Dmitrij Medwedjew. Doch unter all die Hoffnungen in Wostotschny haben sich zuletzt auch erhebliche Sorgen gemischt. Deshalb macht sich Vizepremier Rogosin jetzt auf den langen Weg. Er muss einen Sozialkonflikt entschärfen, der viel von dem Prestige nehmen kann, das in Fernost eigentlich aufgebaut werden soll.

Arbeiter sind in einen Hungerstreik getreten, weil sie keinen Lohn bekommen haben

Eine Gruppe von 20 Arbeitern der Firma Strojindustrija ist am Mittwochmorgen um zehn Uhr aus Protest in einen unbefristeten Hungerstreik getreten, weil insgesamt 311 Mitarbeiter seit Beginn des Jahres noch immer keinen Lohn erhalten hätten. In einem Brief erklärten sie, die Arbeiter würden mit Essenmarken abgespeist, und ihre Familien seien in einer so verzweifelten Lage, dass sie wegen fehlender Mittel nach Dienstschluss nicht einmal irgendwohin fahren könnten.

Der Generaldirektor des Unternehmens wurde nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax bereits festgenommen. Vermutlich dürften die Arbeiter ihre ersten Rubel in diesem Jahr sehr bald bekommen, denn Moskau lässt Vizepremier Rogosin nicht sieben Zeitzonen überqueren, damit er dann die Arbeiter mit wolkigen Worten vertröstet. Für Rogosin ist es bereits die zweite derartige Mission in Wostotschny innerhalb von drei Wochen, und auch Anfang April ging es bereits um einen kleinen Aufstand mit großer Wirkung. 26 Bauarbeiter verlangten damals mit einem Hungerstreik ebenfalls die Auszahlung ihrer Löhne. Mit weißer Farbe malten sie auf die Dächer ihrer Unterkünfte deutlich sichtbare SOS-Rufe: "Rettet die Arbeiter", "Wir wollen arbeiten", "Vier Monate ohne Gehalt". Die Anrede "Lieber Putin, Wladimir Wladimirowitsch" als Adressat wurde natürlich auch nicht vergessen. Nach einem Gespräch mit Vizepremier Rogosin, in der Regierung zuständig für die Weltraumpolitik, stellten sie den Hungerstreik prompt ein. Er hatte versprochen, die Schulden gegenüber den Arbeitern würden beglichen.

Doch Angestellten ihre ausstehenden Löhne zu zahlen, ist für die russische Regierung sehr viel leichter als ein weitaus größeres Dilemma zu beheben. Die Versuchung der Korruption bei Großprojekten ist in Russland groß, und weit, weit weg von Moskau womöglich noch etwas größer. Denn die Festnahme des Generaldirektors von Strojindustrija ist nicht die erste eines Bauleiters auf dem neuen Weltraumbahnhof. Schon im vergangenen Herbst wurde im Zuge eines Finanzskandals eines anderen, an Wostotschny beteiligten Unternehmens dessen Generaldirektor entlassen. Er soll Geld abgezweigt und in teure Yachten und den Bau eines schmucken, zweistöckigen Wohnhauses investiert haben. Vor wenigen Tagen wurde auch sein Nachfolger festgenommen: wegen der Lohnverweigerung gegenüber seinen Mitarbeitern.

Beim Bau des Kosmodroms haben die russischen Behörden bereits mehr als 1600 Verstöße gegen das Arbeitsrecht festgestellt. Ein Teil der Bauarbeiten ist nach Angaben des Leiters der Raumfahrtbehörde um vier Monate im Verzug - was im Vergleich zum Berliner Großflughafen immerhin fast schon eine treffliche Bilanz ist. Russland aber ist eben auch Gagarin-Land; der Mythos des ersten Menschen im Weltall wird kontinuierlich gepflegt, und auf kaum einem anderen Gebiet könnte Moskau so viel nationales Pathos auslösen wie in der Raumfahrt - und zugleich so viele Enttäuschungen erzeugen. Bis 2023 will Russland auch seine eigene Raumstation bauen und sich dann von der ISS abkapseln. Zum Mond will Russland, zum Mars. Aber erst einmal muss es die Baustelle in Fernost erden.

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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